Kommentar von Fritz Hausjell
Die Herausforderungen der Themen Flucht und Asyl an den Journalismus sind zahlreich. Daher greife ich hier nur einige heraus und fokussiere mich dann auf die spezielle Lage, in der Österreich sich gerade befindet. Zum einen müsste Journalismus sich stärker mit kritischen Aussagen von PolitikerInnen und ExpertInnen auseinandersetzen. Ich erinnere an die gravierende Fehlleistung der Nahostexpertin und spätere Außenministerin Karin Kneissl. Sie schrieb am 11.10.2015 in der Kronen Zeitung: „Warum kommen so viele Männer“? Ihre Antwort: „Junge Männer sind risikobereiter, sie blenden mögliche Gefahren aus, vor allem aber sind sie auf der Suche nach Status.“ Eingeleitet war der Beitrag mit dem Begriff „Testosteronüberschuss“. Ich dachte indes naiv, dass unter den damals flüchtenden Menschen sehr viele junge Männer waren, weil ihnen der Militäreinsatz und damit der Tod drohte.

Die letzte Regierung hat schamlos viele MitarbeiterInnen im Bereich PR und Propaganda engagiert. Wesentlich aktiv war hier der Innenminister. Und er gab skandalöse Weisungen, etwa zur Hervorhebung von Herkunft und Asylstatus bei Tatverdächtigen. Aber ganz viel Journalismus ist letztlich PR-induziert. Es bräuchte insgesamt ein Innehalten im Journalismus. Statt sich täglich von der Fülle an politischer PR treiben zu lassen, sollten Themen gut durchdacht und eigenständig recherchiert werden. Auch auf Themen drauf bleiben, wäre wichtig, was beispielsweise heißt: öfter bei den geflüchteten Menschen Nachschau zu halten, wie es ihnen geht, im Sinne des konstruktiven Journalismus. Anwaltschaftlicher Journalismus, der die Kritik- und Kontrollfunktion ernst nimmt, müsste gerade bei jenen Gruppen, die keine oder nur eine schwache Lobby haben, selbsttätig genau hinschauen, und nicht warten, bis die PR Stories anstößt.

Negativ geframte Geschichten zu AsylwerberInnen und Asylberechtigten haben seit Spätherbst 2015 zugenommen. Verursacht wurde das durch massiven Druck von Rechtsextremen, die Medien als „Lügenpresse“ denunzierten und schließlich den extrem hochgespielten Vorfällen in der Kölner Silvesternacht. Seither nennen Medien nicht nur noch öfter die Herkunft von Tatverdächtigen, sondern manche konzentrieren sich sogar darauf.

Da unter vielen PolitikerInnen wenig Mut für eine Pro-Asyl-Haltung herrscht, fehlen auch die entsprechenden Anstöße für eine positive Berichterstattung. Letztere gibt es zwar vereinzelt, weil einzelne Politiker – etwa Rudi Anschober – beharrlich die Inhumanität und wirtschaftliche Absurdität der Abschiebung von Lehrlingen und das nunmehrige Verbot für Asylwerber_innen, überhaupt erst eine Lehre beginnen zu dürfen, zum Thema machen.

Macht man eine Abfrage in der Medienberichterstattungsdatenbank APA-Defacto zu den Begriffen „Asylwerber“, „Asylberechtigte“, „Flüchtling“ und „Asylant“, so zeigt sich eines deutlich: Seit der Abwahl der türkis-blauen Regierung durch das Parlament infolge des Ibiza-Videos ist die Berichterstattung über geflüchtete Menschen in den österreichischen Medien merklich zurückgegangen. Das belegt einerseits, wie stark davor von dieser Regierung das Thema in ihrem Sinne durch politische Maßnahmen zum Nachteil der geflüchteten Menschen und entsprechende Öffentlichkeitsarbeit in vielen Medien am Köcheln gehalten worden war.

Zudem zeigt der Blick in diese Datenbank: Journalismus hat hier während der eineinhalb Regierungsjahre von Türkis-Blau leider nur selten gegengesteuert. Kritik an den Regierungsmaßnahmen, die von der Opposition und zivilgesellschaftlichen Organisationen gekommen war, wurde zwar in etlichen Medien aufgegriffen. Aber nur selten wurde der Versuch unternommen, die Herausforderungen des Asyldaseins kreativ journalistisch aufzuarbeiten. Seit dem Ende der asylfeindlichen Regierung sind Wochen stärkerer Sachorientierung ins Land gezogen. Vom Journalismus wurden diese beim Thema Asyl noch nicht dazu genutzt, mehr angemessene Einblicke in die Verhältnisse zu leisten. Es scheint, als wäre man in vielen Redaktionen froh, dass das politisch negativ forcierte Thema Asylwerber mit der parlamentarischen Abwahl der Regierung von der Agenda ist.

Der Journalismus sollte Flüchtlinge wieder „entdecken“, meine ich. Denn es braucht einen neuen, konstruktiven Zugang zur Thematik. Nachdem große Teile der Politik und manche Medien für das Feindbild „Flüchtling“ gesorgt haben, benötigt die liberale demokratische Gesellschaft wieder mehr Menschenbilder statt Feindbilder. Dafür sind neben den Schulen, den Religionen, der Erwachsenenbildung und politischen Organisationen auch Medien zuständig. Im Ressort „Zeit zum Entdecken“ fragte die „Zeit“ in ihrer Ausgabe vom 19. Juni 2019 100 Flüchtlinge, von einer Gruppe von 330, die ab Herbst 2015 für einige Monate in einer Turnhalle in Berlin gelebt hatten, wie ihr Leben danach weiterging.

Das lässt sich selbstverständlich ausbauen. Österreichische Medien könnten auch bei jenen vielen Flüchtlingen nachfragen, die in den frühen 1990er Jahren aus Ex-Jugoslawien hierher geflüchtet waren. Alsbald warnten damals Politiker und manche Medien vor zu vielen – ja, auch Muslimen unter ihnen. Wie gut geht es denen jetzt bei uns, mit uns. Und wie geht es uns mit ihnen? Das wären spannende Fragen. Die Antworten darauf würden wahrscheinlich dazu beitragen, dass manche die Herausforderungen von heute zuversichtlicher angehen. Auch im Journalismus.
 
 
Fritz Hausjell (1959) arbeitet als Ao. Universitätsprofessor und ist Stv. Vorstand des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft.
 
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