GRUNDRECHTE SIND KEIN GNADENAKT
Forderung nach sofortigem Teuerungsausgleich
für Quartiergeber:innen, finanziert durch Straf-
zahlungen für Bundesländer, die Aufnahmequoten nicht erfüllen
(12. Dezember 2022 ) Unter dem Titel „Grundrechte sind kein Gnadenakt“ lud die Initiative „Courage – Mut zur Menschlichkeit“ heute zu einer Pressekonferenz über die aktuelle Unterbringungskrise im österreichischen Asylwesen. Aus zivilgesellschaftlicher Perspektive wurden dabei die politischen Versäumnisse in dieser Frage aufgezeigt sowie Lösungen für die aktuellen Herausforderungen vorgestellt.
 Im Zuge ihrer Begrüßung verwies Katharina Stemberger, Vorsitzende der Initiative „Courage – Mut zur Menschlichkeit“ auf die „mit freiem Auge erkennbare Negativspirale“, in der sich die hiesige Asylpolitik derzeit befinde: „Vor zwei Jahren hat die österreichische Bundesregierung Zelte nach Moria geschickt, inzwischen stellt sie Zelte in Österreich auf.“ Diese „menschenunwürdige Zeltpolitik“ sei Zeichen eines „politischen Versagens“ und müsse daher endlich enden, so Stemberger.
 
Zynisches Ping-Pong-Spiel
Einleitend gab Andreas Babler, Bürgermeister von Traiskirchen (Niederösterreich), einen Einblick in die Situation der wahrscheinlich am stärksten betroffenen Gemeinde Österreichs. Derzeit befänden sich 1.828 Menschen (Stand: 6. Dezember) im dortigen Erstaufnahmezentrum. Das sind mehr Asylwerber:innen als in der gesamten Landesgrundversorgung in Niederösterreich (1.353 Personen). Hinzu kämen hunderte Geflüchtete ohne Bett und Dach über dem Kopf, die derzeit in Notunterkünften oder bei Ehrenamtlichen untergebracht werden. „Wir sind erstmals damit konfrontiert, dass wir mitten im Winter obdachlose Geflüchtete im Ort stehen haben, obwohl der Unterbringungsbedarf bundesweit überschaubar ist. Wir reden da von der Verteilung von rund 4.000 bis 5.000 Geflüchteten. Das ist wenig für ein Land wie Österreich und im Vergleich zu früheren Zahlen“, so Babler.
Statt sich um Lösungen zu kümmern, setze die türkis-grüne Bundesregierung aber lieber auf ein „zynisches Ping-Pong-Spiel zwischen dem ÖVP-geführten Innenministerium und ÖVP-geführten Bundesländern“, von denen sich der Traiskirchner Bürgermeister „komplett gefrotzelt“ fühle: „Die sollen endlich aufhören, Forderungen an sich selbst zu stellen und anfangen, ihre Arbeit zu machen.“ Machbare und vernünftige Lösungen dafür gäbe es, „entweder man setzt die um oder man soll den Platz bitte für Leute freimachen, die das können“, so Babler.
 
Quartiergeber:innen und Verwaltung von Politik im Stich gelassen
Im Anschluss daran schilderte Hannes Gollowitzer, ein privater Quartiergeber aus der burgenländischen Gemeinde Halbturn, seine Erfahrungen in diesem Zusammenhang. Seit April 2022 haben er und seine Familie vier Geflüchtete aus der Ukraine in ihrem Einfamilienhaus untergebracht. „Für uns ist es selbstverständlich, Menschen in Not nicht auf der Straße stehen zu lassen. Wir leisten auch gerne unseren Beitrag, damit unser Land diese Situation bewältigen kann. Aber die Teuerung macht das natürlich nicht einfacher und wenn man dabei von staatlicher Seite mehr bürokratische Hürden als Unterstützung erfährt, ist das schon frustrierend“, so Gollowitzer.
So wie ihm gehe es vielen privaten Quartiergeber:innen: „Alles dauert viel zu lange und ist nur mit großem Aufwand zu organisieren. Die Verwaltung möchte ich da gar nicht kritisieren, auch die wird von der Politik im Regen stehen gelassen. Es gibt dort einfach zu wenig Leute für diese Aufgabe.“

Private Quartiergeber:innen durch Teuerung „am Anschlag“
 Migrationsforscherin Judith Kohlenberger erläuterte in Folge – nach einer internationalen Einordnung der aktuellen Lage –, wie es zu dieser Situation kommen konnte. Angesichts des Kriegs in der Ukraine hatte die Bundesregierung den Vertriebenen in diesem Frühjahr „rasche und unbürokratische Hilfe“ angeboten – geleistet wurde diese aber hauptsächlich von der Zivilgesellschaft, privaten Quartiergeber:innen, NGOs und zahlreichen Gemeinden. Die Unterbringungszahlen vom ersten Halbjahr 2022 würden diesbezüglich eine klare Sprache sprechen:


*Stand: Juli 2022 Quelle: Parlamentarische Anfragebeantwortungen 13030/AB-13040/AB vom 20.09.2017 sowie 11561/AB vom 21.09.2022; Auswertung: asylkoordination österreich
 
Doch diese Strukturen stünden inzwischen – nicht zuletzt aufgrund der Teuerung – „am Anschlag“, weil zahlreiche Bundesländer ihren Verpflichtungen nicht nachkommen würden und der Bund zu langsam und unzureichend auf die jüngsten Entwicklungen reagiere, so Kohlenberger. Die dabei „gespielte Überforderung“ sei aber sachlich nicht rechtfertigbar: Die österreichische Zivilgesellschaft leiste nicht nur „den Bärenanteil der Arbeit“, sondern mache auch „konkrete und sinnvolle Vorschläge“, um die Diskussion zu versachlichen und „endlich aus dem künstlichen Krisenmodus herauszukommen.“
 Kohlenberger verwies dabei u. a. auf das bereits seit dem April 2021 vorliegende Konzept zur „Geordneten Rettung“ und den von zahlreichen NGOs im Sommer 2022 vorgestellten Sieben-Punkte-Plan zur Beendigung der „Managementkrise im Asylbereich“. Ihr Fazit: „Die Zivilgesellschaft leistet ihren Beitrag, der Staat nicht. Das kann zwangsläufig nicht mehr lange gut gehen.“
  
Teuerungsausgleich durch Strafzahlungen für säumige Bundesländer finanzieren
 Lukas Gahleitner-Gertz, Asylrechtsexperte der asylkoordination österreich, betonte in diesem Zusammenhang u. a. die Notwendigkeit eines sofortigen Teuerungsausgleichs für Quartiergeber:innen. Ohne Teuerungsausgleich müssten nicht nur NGOs bald bestehende Unterkünfte schließen, auch Private und Gemeinden bräuchten zusätzliche Unterstützung, um akute Notlagen zu verhindern. „Österreich geht unterm Strich unvorbereitet in einen Winter, in dem damit zu rechnen ist, dass noch eine größere Zahl an Menschen aus der Ukraine flüchten muss“, so Gahleitner-Gertz.
 Die „komplette Vernunftwidrigkeit“ der aktuellen Politik zeige auch die damit verbundene Geldverschwendung. Derzeit entstünden der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) vermeidbare Mehrkosten von rd. vier Millionen Euro pro Monat durch die Nichtübernahme von bereits zum Verfahren zugelassenen Asylwerber:innen seitens der Länder, wie aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage an das Innenministerium hervorging.
Für Gahleitner-Gertz sei die „einzig logische Schlussfolgerung“ daraus, dass es für jene Bundesländer, die ihre Aufnahmequoten nicht erfüllen, Sanktionen in Form von Strafzahlungen geben müsse. „Es kann nicht sein, dass Bundesländer wie Wien, die ihren Verpflichtungen nachkommen, sich dafür von den Vertragsbrüchigen verhöhnen lassen müssen“, so der Asylrechtsexperte. „Mit diesen Strafzahlungen könnte der Teuerungsausgleich für Quartiergeber:innen problemlos finanziert und damit die Gefahr abgewehrt werden, dass NGOs und privaten Quartiergeber:innen in dieser Situation die Luft ausgeht.“
 
Stemberger will Bundesregierung „ermutigen“
 Stemberger verwies abschließend darauf, dass nicht nur die Initiative „Courage“ das Innenministerium bereits seit vielen Monaten vor einer solchen Situation gewarnt und „in mehreren Terminen“ konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Lage gemacht habe. Obwohl sich der Meinungsaustausch unter Innenminister Gerhard Karner verbessert habe, könne die derzeitige „unnötige Herbergssuche“ (Zitat Caritas-Präsident Michael Landau) nur als Zeichen dafür interpretiert werden, dass seitens der Bundesregierung „keine Lösungsbereitschaft“ vorhanden sei. „Der Grund dafür ist wahrscheinlich Feigheit. Aber vielleicht ermutigt sie unsere Forderung nach einer Strafzahlung für säumige Bundesländer ein wenig dazu, endlich das zu tun, wozu sie rechtlich und auch moralisch eigentlich verpflichtet wären“, so Stemberger.
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