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Gravierende Mängel in der Gesundheitsversorgung von AsylwerberInnen [Martin Schenk, Mai 2003]
Die Wartelisten von Flüchtlingen, die dringend psychologische und medizinische Hilfe brauchen, sind lang, der notwendige Bedarf ist weit größer als das finanzierte Angebot. Zwei Drittel der AsylwerberInnen sind nicht krankenversichert.
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Medizinische Hilfe

Sommer 2000: Ein 5-Jähriger stirbt an Unterversorgung Das Kind kommt aus Afghanistan. Nach tausend Kilometern Fluchtweg wird es mit seinen Eltern und Geschwistern in Österreich aufgegriffen. Der fünfjährige Hamid wirkt erschöpft und klagt über starkes Bauchweh. Untergebracht wird das Kind in irgend einem Gasthaus irgendwo im Burgenland. Der Bub hat eine tagelange beschwerliche und gehetzte Reise hinter sich. Der Fluchtweg von Afghanistan geht über den halben Kontinent, in engen Autos, ohne Pausen, ohne wirklich zu wissen wohin. Die Zukunft, der man über tausende Kilometer entgegenrumpelt, macht ebensoviel Angst wie die Vergangenheit, der man entrinnt. Und die Gegenwart hat nur einen Namen: Stress. So kommt der kleine Bub nach Österreich. Im Gasthaus, in dem er untergebracht wird, kümmert sich niemand um die erschöpfte Familie. Das Kind ist bereits krank. Ein fremdes Land, dessen Namen seine Eltern möglicherweise das erste Mal hören, die Sprache, die man nicht versteht, eine Pensionswirtin, für die all das Routine ist. Wer gefestigt ist, kann das aushalten. Hamid ist geschwächt. Zum nächsten Arzt ist es ohne Auto zu weit. Der fünfjährige Hamid stirbt an Kreislaufversagen.

Die Gesundheitsversorgung von AsylwerberInnen ist katastrophal. Geburt eines Kindes, schmerzende Zähne, Krücken - all das wird zum medizinischen Spießrutenlauf. Ein Überweisungsschein in ein Krankenhaus klärt noch nicht, wie die betreffende Person ohne Geld und Fahrschein dorthin gelangt. Ein schwer kranker Mann wartet seit drei Monaten auf eine Hirndruckmessung im Grazer LKH. Dort herrscht Platzmangel, er kann jedoch nicht nach Wien fahren, da die zuständigen Grazer Behörden den höheren Tagsatz in Wien nicht bezahlen wollen.


Traumatisierung von Folter- und Kriegsüberlebenden

Viele Flüchtlinge sind Folter Überlebende, je nach Herkunftsregion sind es 5 bis 35 Prozent. Im Notquartier der Diakonie gab es ein Kind, das monatelang nichts geredet hat. Das erlittene Trauma lässt eine massive Verletzung zurück. Es ist eine Todeserfahrung, ohne wirklich tot zu sein. "Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt", formuliert Jean Amery. Die Erinnerung an das Entsetzen ist Tag und Nacht präsent. Hätte nicht eine beherzte Menschenrechtsaktivistin vor ein paar Monaten einen jungen Mann aus einem solchen Gasthof irgendwo am Land nach Wien zu einem Verein gebracht, der medizinische und therapeutische Betreuung anbietet; wer weiß, was in der Einsamkeit passiert wäre. Der Flüchtling aus dem Nahen Osten war schwer selbstmordgefährdet. Mittlerweile geht es ihm besser. Mit der Therapie hat er wieder einen Funken Vertrauen in die Welt gewonnen.


Retraumatisierung

Andere haben weniger Glück. Die oft jahrelange Unsicherheit, verhörartige Befragungen oder unsensible Gutachter im Asylverfahren reaktivieren das Erlittene aufs Neue.



Was zu tun ist:

Ein funktionierendes soziales Netz, stabile und verständnisvolle Beziehungen und gesellschaftliche Anerkennung sind entscheidend für die Bewältigung des Traumas.



Flüchtlinge haben ein Recht auf medizinische und psychotherapeutische Betreuung - unabhängig von ihrer finanziellen Situation und von ihrem rechtlichen Status.





Martin Schenk, Mai 2003