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"Warten und hoffen" [Anny Knapp, März 2003]
Flüchtlinge, die es bis Österreich geschafft haben, geraten hier in die komplexe Maschinerie der Asylpraxis, die für die Betroffenen vor allem geprägt ist durch Undurchsichtigkeit, Unsicherheit und langes Warten.
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Flüchtlinge kommen aus rund 60 verschiedenen Ländern nach Österreich. Kaum aus Südamerika oder den industrialisierten Staaten, dafür umso mehr aus Ländern, die immer wieder in den Medien wegen Katastrophen und Menschenrechtsverletzungen auftauchen. Die Entfernungen zu Europa lassen sich durch die Verkehrsverbindungen überbrücken, wenn auch mit oft erheblichem Risiko und fast nur noch mit der Hilfe von Schleppern. Verschärfungen der Visaregelungen und verstärkte (Grenz-) Kontrollen, nicht nur an der Schengen-Außengrenze, sondern vielfach auch in den Transit- oder Herkunftsstaaten, machen Flüchtlinge von diesen Fluchthelfern abhängig. Sie verlangen für die Organisation des Transports, die Unterbringung, die Beschaffung von Papieren und Bestechungen kaum vorstellbare Summen. Je nach Entfernung und Zielland 500 bis 10.000 Dollar. Viele Flüchtlinge müssen ihr gesamtes Vermögen einsetzen, und oft helfen Familienangehörige mit, die Flucht zu finanzieren. Ein Zurück kommt für jene, die Haus und Hof verkauft haben, daher nicht in Frage. Oft verläuft die Flucht nicht so reibungslos wie erwartet. So sitzen Flüchtlinge in Transitländern oft monatelang fest, bis sie neues Geld oder neue Schlepper aufgetrieben haben.

Lager, Schubhaft, Notquartier

Haben sie Glück, bringt sie der Schlepper direkt nach Traiskirchen, wo sie beim Tor einen Asylantrag stellen können. Dann folgt die Datenaufnahme und die Entscheidung, ob sie ins Lager aufgenommen werden. Flüchtlinge aus bestimmten Herkunftsländern wie Indien, Pakistan oder aus einigen Nachfolgestaaten der SU müssen draußen bleiben. Flüchtlinge, die von den Grenztruppen entdeckt werden, können bis zu 48 Stunden in den Hafträumen der Grenzbezirksgendarmerie angehalten werden. Da alle, die heimlich über die Grenze gekommen sind, damit gegen österreichisches Gesetz verstoßen haben, werden manche Fremdenpolizisten eifrig: Strafverfügung wegen Nichtgenügen der Passpflicht, Ausweisung wegen illegalem Aufenthalt oder gleich ein mehrjähriges Aufenthaltsverbot. Und dann möglicherweise auch noch die Verhängung der Schubhaft. Wenn Flüchtlinge gegenüber der Fremdenpolizei zu erkennen gegeben haben, dass sie Asyl beantragen, wird dieser Antrag an das Bundesasylamt weitergeleitet. Andernfalls droht ihnen die umgehende Zurückschiebung in das Nachbarland, aus dem sie nachweislich eingereist sind.

In der Schubhaft werden Flüchtlinge nur dann vom Sozialdienst besucht und betreut, wenn sie dies ausdrücklich wünschen. Bis dieser Besuch zustande kommt, ist die Frist für eine Berufung gegen ein Aufenthaltsverbot möglicherweise bereits abgelaufen. Meistens werden AsylwerberInnen vor Ablauf von zwei Monaten, innerhalb der die Schubhaft zur Verfahrenssicherung zulässig ist, entlassen, weil sie während des laufenden Asylverfahrens nicht abgeschoben werden dürfen. Derzeit warten AsylwerberInnen aber bereits vier bis sechs Monate bis zur ersten Einvernahme, nur bei Schubhäftlingen gehts etwas schneller. Immer wieder gibt es Sonderregelungen bei der Schubhaft für AsylwerberInnen. Derzeit sind AfghanInnen und IrakerInnen, wenn ihre Nationalität nicht bezweifelt wird, kaum in Schubhaft, InderInnen hingegen haben keine Chance auf Entlassung, bevor die absolut höchstzulässige Dauer von sechs Monaten abgelaufen ist. Die Praxis der Schubhaftverhängung der Fremdenpolizei variiert, manche überstellen AsylwerberInnen auch gleich zum Bundesasylamt.

In Traiskirchen heißt es nach der ersten Betriebsamkeit, bei der die Daten erfasst, Fingerabdrücke abgenommen und Fotos gemacht werden, die ärztliche Kontrolle absolviert und das Bett bezogen ist - warten. AsylwerberInnen erhalten eine Karte, mit der sie das Lager verlassen und wieder hineinkommen und ihr Essen ausfassen können. Wer nicht vorläufig bis zur Einvernahme ins Lager aufgenommen wird, erhält nur einen Zettel mit der Aktennummer und den Auftrag, eine Meldeadresse bekannt zu geben. Kann der/die AsylwerberIn dieser Aufforderung nicht nachkommen, weil er/sie niemanden kennt, der ihn oder sie aufnehmen würde, oder auch in den Notquartieren der NGOs oder der Länder alles voll ist, wird das Asylverfahren eingestellt.

Wer ist zuständig?

Für viele Flüchtlinge ist Österreich nicht das Zielland. Sie stellen aber hier einen Asylantrag, entweder um die Weiterreise in ein anderes EU-Land zu organisieren und/oder die Zurückschiebung in ein Land außerhalb des Schengenraumes zu verhindern. Von den rund 30.000 bearbeiteten Asylverfahren im Jahr 2002 wurden an die 68 Prozent durch Einstellung erledigt. Allerdings ist zu erwarten, dass aufgrund des Eurodac-Abkommens, mit dem die Fingerabdrücke aller AsylwerberInnen in der EU verglichen werden, heuer weit mehr AsylwerberInnen wieder nach Österreich zurückgeschoben werden und ihr eingestelltes Asylverfahren dann in Österreich weitergeführt wird. Diese Zurückschiebung erfolgt aufgrund des Dubliner Übereinkommens, das vorsieht, dass der Asylantrag nur in einem EU-Staat geprüft wird und zwar in jenem, der ein Aufenthaltsrecht oder Visum erteilt oder die Einreise nicht verhindert hat. Derzeit werden beispielsweise aus Großbritannien AsylwerberInnen zurückgeschoben, die bereits viele Monate dort gelebt und erste Schritte zur Integration gesetzt haben.

Auch die österreichischen Asylbehörden versuchen, bevor sie überhaupt ein inhaltliches Verfahren durchführen, die Reiseroute herauszufinden und Asylsuchende in andere Länder zurückzuschieben. Sichere Drittstaaten bieten sich aufgrund der Rechtsprechung des Unabhängigen Bundesasylsenats (UBAS) und der obersten Gerichtshöfe derzeit kaum an, weil sie Asylsuchenden nicht ausreichende Sicherheit vor Abschiebung vor Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens bieten.
Erst bei der Einvernahme wird entschieden, ob dem oder der AsylwerberIn ein vorläufiges Aufenthaltsrecht während des Asylverfahrens zusteht. Für Asylsuchende, für die Österreich sich nicht zuständig fühlt, gibt es das Aufenthaltsrecht ebensowenig wie für jene, bei denen angenommen wird, dass der Antrag "offensichtlich unbegründet" ist. Bei den meisten AsylwerberInnen wird erst bei der Einvernahme eine Vorentscheidung über die Aufnahme in Bundesbetreuung getroffen. Bis dahin sind sie nur vorläufig aufgenommen und erhalten kein Taschengeld. AsylwerberInnen werden entsprechend den Kapazitäten der Asylbehörden und den vorhandenen Unterbringungsplätzen auf die Bundesländer verteilt. Wünsche, beispielsweise wegen begonnener Therapie, Kontakt zu Landsleuten oder Betreuung durch eine NGO, finden in der Regel keinerlei Berücksichtigung. Viele Bundesbetreuungsquartiere sind sehr abgelegen, weshalb die Bereitschaft der Asylsuchenden gering ist, Traiskirchen zu verlassen, obwohl die Verhältnisse dort alles andere als einladend sind. Es bleibt aber keine Wahl, denn wer nicht mitfährt, verliert überhaupt den Bundesbetreuungsplatz.

Miserable erste Instanz

Entscheidend für Asylsuchende ist die Einvernahme beim Bundesasylamt, denn bei dieser sollen sie alles erzählen, was dafür spricht, dass sie verfolgt sind und Schutz brauchen. Dokumente und Beweismittel sind vorzulegen. Erst jetzt erhalten Asylsuchende auch ein Informationsblatt über das Verfahren mit dem Hinweis auf die bei jedem Bundesasylamt tätigen FlüchtlingsberaterInnen. Auf das Interview sind viele Asylsuchende nicht gut vorbereitet, sodass die Befragung oft schnell in ein Verhör umschlägt, bei dem die Referenten das Ziel verfolgen, die Asylsuchenden in Widersprüche zu verwickeln und bei mangelnder Glaubwürdigkeit in nebensächlichen Details dann generell an der Glaubwürdigkeit der Angaben zu zweifeln. Wichtige Fragen oder Themen bleiben deswegen oft auf der Strecke. In letzter Zeit wurden die Befragungen immer kürzer, wohl mit der Absicht, den Berg an offenen Verfahren nicht weiter anwachsen zu lassen. Gendarmeriebeamte werden für die Durchführung sogenannter Pre-Screenings herangezogen. Diese arten fallweise in richtige Interviews aus, sind aber auch deswegen bedenklich, weil die Asylbehörde eigentlich besonders qualifiziertes Personal einzusetzen hat und die Entscheidung durch den Einvernehmenden zu treffen ist.

Nur 4,4 Prozent aller inhaltlichen Verfahren enden in erster Instanz positiv. Warum, das wird nicht ausgeführt. Wer einen negativen Bescheid erhält, kommt gehörig unter Zugzwang. Zumindest kann seit der letzten Gesetzesnovelle mit der "Asylkarte" auch ein hinterlegter Bescheid des Asylamtes beim Postamt abgeholt werden, wenn der oder die AsylwerberIn keinen Lichtbildausweis hat. Schlau werden die Asylsuchenden aus dem Bescheid sicher nicht, denn nur die Entscheidung selbst (Spruch) und der Hinweis, dass dagegen innerhalb von 14 Tagen Berufung erhoben werden kann, ist in eine dem Flüchtling verständliche Sprache übersetzt. Bei Drittlandsentscheidungen und bei "offensichtlich unbegründeten" Anträgen beträgt die Berufungsfrist überhaupt nur 10 Tage. Für entlegen untergebrachte Flüchtlinge, wo meilenweit keine Beratungsstelle ist, ist es nicht leicht, jemanden zu finden, der/die bei der Berufung helfen kann. Manche NGOs besuchen ein bis zwei Mal pro Woche die Flüchtlingsquartiere. Manche Asylsuchende bemühen sich, selbst eine Berufung zu schreiben, wenn sie Glück haben, ausreichend detailliert, so dass eine Berufungsverhandlung angesetzt wird. Da Verfahren beim Bundesasylamt häufig miserabel sind, Widersprüche nicht aufgelöst wurden oder der/die AsylwerberIn in der Berufung neue Angaben macht, wird beim UBAS eine öffentliche Verhandlung durchgeführt. Häufig werden zu den Verhandlungen auch LänderexpertInnen beigezogen. Diese umfassenden Recherchen des UBAS sind wohl mit ein Grund dafür, dass die Anerkennungsquote in zweiter Instanz deutlich höher liegt (6,5% 2002).

Warten, warten, warten

Bis es eine Entscheidung gibt, braucht man allerdings viel Geduld. Ein bis drei Jahre Warten ist ganz normal, obwohl die Asylbehörden innerhalb von sechs Monaten entscheiden müssten. Wird nach einem negativen Ausgang auch der Verwaltungsgerichtshof angerufen, ist mit weiteren ein bis zwei Jahren zu rechnen.
Während dieser Zeit gibt es für die Asylsuchenden nichts zu tun als zu warten. Sprachkurse werden generell nicht angeboten, meist freiwillige MitarbeiterInnen von NGOs organisieren immer wieder Kurse in den Unterkünften. Nur wenige haben das Glück, eine legale Beschäftigung, meist im Saisongewerbe, zu bekommen, andere hingegen können halblegal oder schwarz ein bisschen Geld zum spärlichen Taschengeld von 40 Euro im Monat während der Bundesbetreuung dazuverdienen. Sehr gefragt ist auch die Mitarbeit in den Flüchtlingslagern des Bundes, die mit 30 Euro entschädigt wird.
Asylsuchende aus Herkunftsländern, in denen Krieg herrscht oder Menschenrechtsverletzungen wahrscheinlich sind, erhalten oft schon in erster Instanz bescheinigt, dass sie nicht abschiebbar sind. Viele AfghanInnen haben derzeit so eine befristete Aufenthaltsberechtigung, mit der sie auch Anspruch auf Sozialhilfe haben und der Zugang zu einer Beschäftigungsbewilligung leichter ist.
Integriert werden sollen aber nur anerkannte Flüchtlinge. Für sie gibt es finanzielle Unterstützung, und nach jahrelanger Wartezeit dürfen sie dann auch offiziell Deutsch lernen und arbeiten.

Beratungsalltag

Was tun Flüchtlingshilfsorganisationen in dieser Situation? Der Ausweg liegt in der Kooperation mit ÄrztInnen, die bereit sind, kostenlos zu behandeln. ZahnärztInnen, die für eine Behandlung keinen Krankenschein verlangen. Krankenhäuser, wie das der Barmherzigen Brüder, die Operationen und Geburten auch für Unversicherte durchführen. Fast jede Hilfsorganisation verfügt über eine Liste solcher ÄrztInnen, zum Glück gibt es viele, die dazu bereit sind, sodass nicht zu viele Unversicherte auf eine/n dieser Freiwilligen kommen. Zum Dolmetschen gehen meistens FreundInnen oder Angehörige mit - heikel bei gynäkologischen Behandlungen, doch selbst in Wien gibt es kaum ÄrztInnen, die die relevanten Sprachen sprechen und noch dazu kostenlos behandeln würden.

Positiv ist auch das Medikamentendepot des Roten Kreuzes, das Flüchtlingshilfsorganisationen bei Nachweis eines Rezepts immer wieder mit Medikamenten für unversicherte, chronisch kranke Flüchtlinge versorgt.

In Berlin entstand aus einer ähnlichen Situation loser Netzwerke zwischen ÄrztInnen und NGOs das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe. Zwar ist in Deutschland für aufenthaltsberechtigte AsylwerberInnen, anders als in Österreich, der Zugang zur medizinischen Versorgung selbstverständlich, doch unversicherte Flüchtlinge, die weder Asyl bekommen haben, noch in ihre Heimat zurückkehren können, gibt es viele. Für sie vermittelt das Büro qualifizierte medizinische und zahnmedizinische Behandlung.



Anny Knapp, asylkoordination Österreich

Volksstimme 13/ 28.
März 2003.