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"Fremde Kinder" [Heinz
Fronek, März 2003] |
Kinder und Jugendliche,
die ohne Begleitung Erwachsener nach Österreich flüchten,
werden nur zum geringeren Teil adäquat untergebracht und
betreut. Trotz einiger Verbesserungen herrschen noch immer Inkompetenz
bzw. ein Kompetenz-Dschungel.
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Übersicht
Existenzsicherung |
Zur Unterbringungssituation von jugendlichen Flüchtlingen
gibt es in Österreich kein umfassendes statistischen Datenmaterial.
Niemand weiß exakt, wieviele unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge (UMF) derzeit in Österreich leben. Auch
fehlt ein genauer Überblick darüber, wo und unter
welchen Bedingungen die Jugendlichen untergebracht sind. Die
jeweils zuständigen Jugendämter sollten zwar über
die in ihrem Bereich aufhältigen UMF informiert sein, aber
selbst das ist, wie die Erfahrung zeigt, nicht immer der Fall.
Ein nicht unwesentlicher Teil der jungen Flüchtlinge zieht
innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen in ein anders EU-Land
weiter, sei es weil sie in Österreich nicht die notwendige
Unterstützung erhalten, oder weil sie ein anderes Zielland
haben. Den Großteil der jungen Flüchtlinge, die es
vorziehen, in Österreich zu bleiben, zieht es in den städtischen
Bereich, insbesondere in die Bundeshauptstadt. Am ehesten findet
sich nämlich hier eine Gruppe von Landsleuten und somit
soziale Strukturen, die dabei unterstützen können,
sich an die Lebensbedingungen in der fremden Umgebung zu gewöhnen.
Von den von der asylkoordination geschätzten 1.500 UMF,
die 2001 in Österreich ankamen, waren 661 (Angaben des
Kompetenzzentrums Wien) zumindest vorübergehend in Wien.
Im Jahr 2002 wurden vom Kompetenzzentrum Wien 877 unbegleitete
minderjährige Neuzugänge in ihren Asylverfahren betreut.
Die Hauptherkunftsländer waren dabei Nigeria (273), Indien
(137) und Georgien (106). In fünf Fällen wurde 2002
das Asylverfahren positiv abgeschlossen, in weiteren sieben
Fällen konnte zumindest eine humanitäre Aufenthaltsbewilligung
erwrikt werden. Die Asylanträge der anderen UMF wurden
entweder negativ oder noch nicht beschieden.
Die in Wien vom Jugendwohlfahrtsträger für UMF bereitgestellten
Betreuungsstrukturen sind mit der Aufnahme und Betreuung völlig
überfordert. Den 877 Jugendlichen, die im Vorjahr in Wien
ankamen, steht ein Platzangebot der Gemeinde von gerade einmal
100 Plätzen gegenüber. Alle anderen werden entweder
ohne pädagogische Betreuung in Quartieren der Bundesbetreuung
untergebracht oder - wenn auch das nicht möglich ist -
der Obdachlosigkeit ausgeliefert.
In den andern Bundesländern ist die Betreuungssituation
von UMF häufig noch wesentlich schlechter. In Salzburg
sieht sich der Jugendwohlfahrtsträger, trotz eines gegenteiligen
Rechtsgutachtens, nach wie vor als nicht für die Unterbringung
von UMF zuständig und überlässt diese Aufgabe
vollständig dem Bund.
Der überwiegende Teil der minderjährigen Flüchtlinge
wird im Rahmen der Bundesbetreuung versorgt. Während erwachsene
AsylwerberInnen vom Staat häufig ohne jede Unterstützung
sich selbst überlassen bleiben, erhalten Jugendliche zunächst
meistens Unterkunft in einer Einrichtung der Bundesbetreuung.
Die Bundesbetreuung ist jedoch nicht in der Lage, auf altersadäquate
Bedürfnisse einzugehen. Angebote wie Freizeitgestaltung,
Lernbetreuung usw. fehlen entweder gänzlich oder werden
als freiwillige Leistungen der Unterbringungseinrichtungen erbracht.
AsylwerberInnen müssen zudem immer damit rechnen, aus organisatorischen
Gründen an einen andern Ort verlegt zu werden.
Viel Flüchtlinge ertragen das Leben in den zugewiesen Quartieren
nicht. Das erzwungene Warten und die fehlende Erlaubnis, einer
Beschäftigung nachzugehen, führen zu einer enormen
psychischen Belastung. Und diejenigen, die Österreich verlassen,
müssen befürchten, dass sie von den neuen Zielländern,
aufgrund des Dubliner Übereinkommens wieder nach Österreich
zurückgeschickt werden.
Die schlechte Unterbringungs- und Betreuungssituation von UMF
ist den verantwortlichen PolitikerInnen seit vielen Jahren bekannt.
Bereits am 14. Juli 1994 wurde in einer Entschließung
des österreichischen Nationalrates die Bundesregierung
darum ersucht, für die Verwirklichung der Verpflichtungen,
die sich aus der Kinderrechtskonvention ableiten, zu sorgen.
Zwei der insgesamt dreizehn Forderungen beziehen sich dabei
unmittelbar auf die Situation von UMF. So heißt es unter
Punkt 12, der mit "Fremde Kinder" überschrieben
ist:
a) Angesichts des Art. 22 des UN-Übereinkommens über
die Rechte des Kindes ist durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen,
dass minderjährigen Asylwerbern und Flüchtlingen angemessener
Schutz und humanitäre Hilfe gewährt wird.
b) Angesichts eines gegebenen Bedarfs ist darauf hinzuwirken,
dass die in lit. a genannten Maßnahmen auch im Wirkungsbereich
der Länder, insbesondere durch die Schaffung einer jugendadäquaten
Betreuungsstruktur, getroffen werden.
Die gesetzliche Verpflichtung der Jugendwohlfahrtsträger
und somit der Bundesländer, das Wohl der unbegleiteten
Flüchtlinge sicherzustellen ist also eindeutig gegeben.
Entsprechend dem Bundesjugendwohlfahrtsgesetz (JWG) hat nämlich
der Jugendwohlfahrtsträger die positive Entwicklung der
Minderjährigen zu gewährleisten. §3 JWG definiert
den Anwendungsbereich: "Öffentliche Jugendwohlfahrt
ist allen Personen zu gewähren, die ihren Aufenthalt im
Inland haben; österreichischen Staatsbürgern und Staatenlosen
jedenfalls, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland
haben."
Auch ein Gutachten des Ludwig Boltzmann Institutes für
Menschenrechte belegt eindeutig die Zuständigkeit der Jugendwohlfahrt.
Demnach hat der Jugendwohlfahrtsträger die Übertragung
der Obsorge für UMF beim Gericht zu beantragen und für
altersgerechte Unterkunft und Betreuung zu sorgen.
Die Jugendwohlfahrt kommt gegenwärtig ihren Aufgaben nur
unzureichend nach. Trotzdem ist in den letzten Jahren auch manches
in Bewegung geraten. Mehrere Unterbringungseinrichtungen für
UMF wurden eingerichtet. Es entstanden in Hirtenberg das Laura
Gatner Haus, in Linz das von der Volkshilfe Oberösterreich
betriebene Unterbringungsprojekt "the house", der
evangelische Flüchtlingsdienst eröffnete in Wien eine
Wohngemeinschaft für UMF, die Caritas Graz betreibt mehrere
Wohngemeinschaften für junge Flüchtlinge und im Flüchtlingslager
Traiskirchen wurde eine Betreuungsstelle für UMF eingerichtet.
Besonders erwähnenswert ist die Eröffnung von fünf
Clearingstellen, die sich speziell um neu ankommende UMF kümmern.
Die Erfahrungen der letzten Jahre belegen, dass ohne koordiniertes
Vorgehen von Bund und Ländern keine für die jungen
Flüchtlinge befriedigende und dauerhafte Lösung erreicht
werden kann. Am 6. 4. 01 erteilte daher die Landeshauptleutekonferenz
den zuständigen BeamtInnen den Auftrag, ein umfassendes
Konzept für die Unterbringung und Betreuung von UMF auszuarbeiten.
Ein Jahr lang wurde in mehreren Arbeitsgruppen an einer Neuverteilung
der Aufgaben und Kompetenzen gearbeitet. Zweck der intensiven
Behördengespräche ist der Abschluss einer Vereinbarung
zwischen Bund und Ländern. Diese Regelung soll die Grundversorgung
von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden durch Bund und
Länder klären und regelt in einem eigenen Punkt die
Unterbringung und Betreuung von unbegleiteten minderjährigen
Flüchtlingen.
Zunächst zeichnete sich ab, dass es bis spätestens
Jänner 2003 zu einer österreichweiten einheitlichen
Lösung der Unterbringung und Betreuung von UMF kommen würde.
Die ausverhandelten Standards lagen zwar weit unter jenen der
Jugendwohlfahrt, trotzdem hätte die flächendeckende
Realisierung des Konzeptes bezogen auf den Status Quo zweifellos
eine enorme Verbesserung bedeutet. Durch die Umbesetzung im
Innenministerium ist aber ein Ende der Verhandlungen wieder
in weite Ferne gerückt.
Die in der Vergangenheit erzielten Veränderungen konnten
zwar die Lebensbedingungen von einzelnen Jugendlichen deutlich
verbessern, an der allgemeine Misere haben sie aber nichts geändert.
Gesucht werden muss nach einer Lösung, die menschenwürdige
Lebensbedingungen für alle Asylsuchenden sicherstellt.
Lösungen, die nur die Jugendlichen betreffen, greifen nicht
weit genug. Solange erwachsene AsylwerberInnen von Obdachlosigkeit
bedroht sind oder unter menschenunwürdigen Bedingungen
ihr Dasein fristen müssen, ist es nur zu verständlich,
dass manche versuchen, sich durch unrichtige Altersangaben einen
bescheidenen Vorteil zu sichern. Erwachsene gehören aber
nicht in pädagogische Einrichtungen.
Durch den im März 2003 beschlossenen Vorschlag für
eine Richtlinie des Europarates zur Festlegung von Mindestnormen
für die Aufnahme von AsylwerberInnen, werden die Mitgliedsstaaten
künftig verpflichtet die Grundversorgung für alle
AsylwerberInnen sicherzustellen. Dadurch lebt die Hoffnung auf
eine zwar mittelfristige, aber nachhaltige Entspannung der Situation.
Die EU-Richtlinie muss aber erst am 6. 2. 2005 umgesetzt sein.
Wie es in der unmittelbaren Zukunft weitergehen wird, bleibt
somit unklar. Nachdem die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern
vorläufig gescheitert sind, liegt der Ball wieder bei der
Politik. Von einer baldigen Einigung kann nun nicht mehr ausgegangen
werden. Völlig ungewiss ist auch die Zukunft der Clearingstellen.
Die Finanzierungszusagen für alle Clearingstellen enden
mit dem 30. 4. 2003, danach ist ihr Weiterbetrieb gefährdet.
Den jungen Flüchtlingen droht Obdachlosigkeit, die politisch
Verantwortlichen lässt dies offensichtlich kalt.
Heinz Fronek, asylkoordination
Langfassung des Artikels in der Volksstimme 11/ 13.
März 2003.
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