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Asyl für Frauen [Anny Knapp, März 2003]
Bei der Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe von Frauen hat sich vieles positiv entwickelt. Dennoch ist die Lebenssituation von Flüchtlingsfrauen in Österreich oft sehr problematisch.
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Zwischen 20 und 25 Prozent der AsylwerberInnen in Österreich sind Frauen, die gängige Vorstellung des Flüchtlings, der nach Europa kommt, ist männlich. Überlagert wird diese Vorstellung von flüchtenden Frauen und Kindern bei gewaltsamen Konflikten. Krieg und Vertreibung als Fluchtursache spiegelt sich auch in den österreichischen Asylantragzahlen des Jahres 1999 wider: Als die AlbanerInnen aus dem Kosovo flüchteten, stieg der Anteil an Frauen auf 33 Prozent.
Da AsylwerberInnen in Europa überwiegend Männer sind und diese eher mit politischer Aktivität und Verfolgung in Verbindung gebracht werden, ist die Sensibilität für frauenspezifische Fluchtursachen gering. Bereits im Zuge der Asylrechtsreform 1991 wurde, unterstützt von der damaligen Frauenministerin Dohnal, gefordert, geschlechtsspezifische Verfolgung als Asylgrund im Gesetz zu verankern. Die Forderung wurde mit der Begründung abgelehnt, dass diese als Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe ausreichend berücksichtigt werden könne. Das blieb jedoch Theorie, bis durch den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBAS), der seit 1998 anstelle des Innenministeriums über Berufungen entscheidet, Fluchtgründe stärker im Geist der Genfer Flüchtlingskonvention geprüft werden.

Verborgene Geschichten

Flüchtlingsfrauen stellen oft keinen eigenen Asylantrag, sondern beziehen sich auf den Antrag von (männlichen) Familienangehörigen. Sie werden dabei nicht ausdrücklich auf mögliche Nachteile hingewiesen und ihre Erlebnisse bleiben daher häufig unbekannt.
So erklärte beispielsweise eine afghanische Frau bei ihrer Einvernahme, dass sie ihr Heimatland verlassen habe, um ihre Tochter und ihre Enkelkinder nach Europa zu begleiten. Sie sei niemals Mitglied einer politischen Partei gewesen, sei nicht vorbestraft und werde auch nicht gesucht. Ihr Antrag wurde zuerst abgelehnt, weil ihren Aussagen keinerlei gegen die Asylwerberin selbst gerichtete Verfolgungshandlungen zu entnehmen waren. Erst in der Berufungsverhandlung vor dem UBAS kam heraus, dass sie aufgrund ihrer persönlichen inneren Einstellung Furcht vor Verfolgung durch die Taliban glaubhaft machen konnte und ihre politischen Einstellungen jener der Taliban diametral entgegengesetzt sind. "Ihrer politischen Gesinnung und ihrem aktiven Eintreten für die Rechte der Frauen kommt als Ursache des drohenden Eingriffs eine herausragende Bedeutung zu", befand der UBAS. "Die Asylwerberin hatte an wichtigen politischen Versammlungen des kommunistischen Regimes teilgenommen, vertritt die Grundsätze einer demokratischen und säkularisierten (bzw. im Sinne eines aufgeklärten Islamverständnisses gestalteten) Gesellschaftsordnung und genoss eine selbstständige gesellschaftspolitische Stellung innerhalb ihres Familienverbandes. Einen Kompromiss mit den Taliban würde sie daher nie eingehen." Begründet wurde die positive Entscheidung damit, dass die Normen der Taliban, die die gesellschaftliche Rolle der Frau regeln und deren Einhaltung unter Zwangsandrohung stellen, politischer Natur sind, gleichwohl sie ihren Ursprung in religiösen Vorstellungen haben. Ihre politische Gesinnung stelle zusammen mit der Geschlechtszugehörigkeit mit eine Ursache für die Verfolgungsgefahr dar. In der Entscheidung wurde weiters betont, dass Frauen als "soziale Gruppe" unter den Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention fallen.
Solche Entscheidungen blieben keine Einzelfälle, denn unter den afghanischen Flüchtlingsfrauen gibt es viele, die eine westliche Erziehung genossen haben, gebildet sind und denen daher eine Unterordnung unter die fundamentalistischen Werte besonders schwer fällt bzw. nicht zugemutet werden kann. Sympathie für diese Frauen, die meist auch in der Öffentlichkeit aufgetreten sind, klingt in so manchem Bescheid durch: "Ferner ist festzustellen, dass sich generell die Frauenpolitik der Taliban gegen die politisch engagierten Gebildeten gerichtet hat und nach wie vor richtet. Die gebildeten und berufstätigen Frauen in Afghanistan haben im Laufe der Modernisierung Afghanistans an Selbstbewusstsein gewonnen und sind sich ihrer Rechte bewusst geworden. Sie haben auch aktiv am öffentlichen Leben teilgenommen und haben sich nicht mehr mit den traditionellen Normen von den konservativen islamischen Bewegungen, wie z. B. die Taliban sie vorschreiben, abfinden wollen."
Das bedeutet nun wiederum nicht, dass alle Frauen aus islamischen Ländern mit rigiden Verhaltensvorschriften als politisch verfolgt angesehen werden. Entscheidend ist, ob eine Unterordnung aufgrund der Gesinnung zugemutet werden kann, frau sich also anpasst oder eine abweichende Gesinnung verborgen hält, und wie groß das Risiko einer Bestrafung bei Verstößen gegen die Verhaltens- und Bekleidungsvorschriften ist, die nämlich erst dann asylrelevant ist, wenn die Strafe so schwer ist, dass die Menschenwürde verletzt wird, eine Freiheitsstrafe oder die Todesstrafe droht.


Weibliche Überlebenschancen

Die schwerwiegende Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist auch der Grund, Frauen, denen Genitalverstümmelung droht, als Flüchtlinge anzuerkennen. Der UBAS gewährte einer 23-jährigen Frau aus Kamerun z. B. deswegen Asyl, weil sie in Kamerun ohne Familienmitglieder oder Stammesangehörige keine neue unbehelligte Existenz aufbauen bzw. von ihren Familienangehörigen auch gefunden werden könnte. "Die Genitalverstümmelung würde im gegenständlichen Fall zwangsweise erfolgen", heißt es im Bescheid, "womit ein ungerechtfertigter Eingriff vorliegt, welcher eine erhebliche Intensität aufweist, da Genitalverstümmelung u. a. durch die schwerwiegenden gesundheitlichen Konsequenzen, die bis zum Tode führen können, eine der extremsten Formen von Gewalt gegen Frauen weltweit darstellt. Sie ist Ausdruck vielfältiger Benachteiligung und Unterdrückung des weiblichen Geschlechts [...] Zwar handelt es sich um keine unmittelbare staatliche Verfolgung, Kamerun ist jedoch bis heute nicht gewillt trotz der Unterzeichnung der Internationalen Konvention gegen Diskriminierung von Frauen eine eigene strafrechtliche Sanktionierung von FGM in Kamerun - im Gegensatz zu anderen afrikanischen Staaten - zu beschließen. Nicht einmal Anklagen oder Verurteilungen unter dem Titel der Körperverletzung sind bekannt."
Aufgrund eingehender Recherchen zur Situation und Rolle der Frau in der äthiopischen Gesellschaft wurden vom UBAS auch Mädchen aus Äthiopien wegen drohender Genitalverstümmelung als Flüchtlinge anerkannt.
Bei der Beurteilung der Fluchtgründe werden vom UBAS auch die "Überlebenschancen" alleinstehender, verwitweter oder geschiedener Frauen berücksichtigt. Asyl wurde vom UBAS beispielsweise einer Albanerin gewährt, die durch ihre Scheidung von einem Kosovo-Albaner nicht nur "Schande" auf sich und ihre Familie geladen hatte, sondern in der Folge auch ohne Existenzgrundlage dastand. Aus der "Stellung der Frau im traditionellen Familienverband geht hervor, dass die Ehefrau dem Regime ihres Ehemannes schutzlos ausgeliefert ist", so der UBAS. "Gewaltanwendungen gegen die Ehefrau - vor allem in ländlichen Gebieten - werden weit herum akzeptiert. Selbst wenn ein gesetzlicher Rahmen existieren würde, hätten die Frauen keinen Ort, wo sie hingehen könnten, um Schutz vor Misshandlungen zu suchen ... Für alleinstehende Mütter, die ihre Kinder behalten und nicht wieder heiraten wollen, gibt es in der nach dem Kanun geregelten Gesellschaftsordnung keinen sozialen Ort (und auch keinen realen). Sie sprengen jede soziale Norm."


Unzumutbare Unterbringung

Der UNHCR stellte in seinem im Mai 2002 aktualisierten Positionspapier zu geschlechtsspezifischer Verfolgung fest, dass im letzten Jahrzehnt in Bezug auf die Analyse und das Verständnis von "sex" und "gender" im Flüchtlingswesen sowohl in der Spruchpraxis als auch ganz allgemein in der staatlichen Praxis beachtliche Fortschritte gemacht wurden. Das besondere Schutzbedürfnis vor allen alleinstehender Frauen wurde in etlichen internationalen Dokumenten berücksichtigt. In den EU-Richtlinien zur Aufnahme von AsylwerberInnen oder zu den Asylverfahren finden sich Bestimmungen, um Würde und Selbstständigkeit von Flüchtlingsfrauen zu gewährleisten.
Diese positiven Entwicklungen können uns jedoch nicht darüber hinwegsehen lassen, dass in Österreich noch vieles im Argen liegt, v. a. was die Lebenssituation von Flüchtlingsfrauen in Österreich betrifft. Während des Asylverfahrens sind Flüchtlingsfrauen von Obdachlosigkeit nicht verschont, Ausnahmen bei der restriktiven Bundesbetreuung aus humanitären Gründen sind nur für schulpflichtige Kinder vorgesehen. So wurde einer alleinstehenden Afghanin mit sieben Kindern ihre Entlassung aus dem Betreuungsquartier angekündigt, noch bevor sie überhaupt zu ihren Fluchtgründen befragt wurde. Diese Mitteilung wirkte so schockierend, dass die Frau einen Nervenzusammenbruch erlitt und ins Spital eingeliefert werden musste. Im Flüchtlingslager Traiskirchen, in dem bis zu eintausend AsylwerberInnen untergebracht werden, gibt es keine gesonderten Bereiche für Frauen. Nicht einmal getrennte Waschräume stehen zur Verfügung, geschweige denn versperrbare Duschen. Die oft abgelegene Unterbringung von AsylwerberInnen erschwert es Flüchtlingsfrauen, sich um die eigene und die Gesundheit der Familie zu kümmern, oft fehlt es am Geld, um sich Fahrscheine zum Arzt kaufen zu können. Das monatliche Taschengeld von 40 Euro, das Asylwerberinnen in Bundesbetreuung erhalten, reicht bei weitem nicht aus, um die notwendigen Windeln oder ergänzende Nahrung für Kleinkinder zu finanzieren.
Schwangere Frauen können in Schubhaft genommen werden, außer sie sind nachweisbar haftunfähig. Wie wenig die zahlreichen gesetzlichen Regelungen die Bedürfnisse der Betroffenen berücksichtigen, zeigt auch die drastisch eingeschränkte Familienzusammenführung bei AsylwerberInnen, deren Gatte oder Gattin nicht als Flüchtling anerkannt ist, aber ein anderes Aufenthaltsrecht besitzt. Frauen und Kinder etwa, die aus dem Kosovo zu ihren meist seit vielen Jahren in Österreich niedergelassenen Gatten flüchteten, wurden aus den Wohnungen geholt und nach Ungarn zurückgeschoben, weil sie von dort nach Österreich eingereist waren und Asyl in Ungarn beantragen sollten. Zwischen den EU-Staaten kann zumindest aus humanitären Gründen eine Familienzusammenführung zu aufenthaltsberechtigten Angehörigen erfolgen, davon wird von den Asylbehörden aber selten Gebrauch gemacht. So sollte die Abschiebung einer schwangeren Kosovo-Albanerin, die im Krieg zu ihrem Verlobten geflüchtet war, nur bis zwei Monate nach der Geburt aufgeschoben werden, mit viel Geschick gelang es den Betreuern, ihren Aufenthalts zu legalisieren. Auch hier ergingen in jüngster Zeit vom UBAS einige bemerkenswerte Entscheidungen. So fand die Berufungsbehörde, dass ein minderjähriger kurdischer Türke nicht nach Italien zurückgeschoben werden darf, da er seine Verlobte, die als anerkannter Flüchtling in Österreich lebt, nach seiner Ankunft in Österreich - wenn auch nur nach islamischen Recht - geheiratet hatte.
Diese wenigen Beispiele aus der Asylrechtssprechung zeigen, wie wichtig Information und Rechtsberatung, entsprechend geschulte DolmetscherInnen und BehördenmitarbeiterInnen sind, damit Flüchtlingsfrauen Schutz finden. Jede Einschränkung von Verfahrensgarantien wie etwa die fehlende aufschiebende Wirkung einer Berufung und die dadurch mögliche Abschiebung während des Verfahrens oder die Einschränkung der Prüfungsbefugnis der Berufungsinstanz würde sich auf diese besonders schutzbedürftige Gruppe umso gravierender auswirken.


Anny Knapp, asylkoordination

Langfassung des Artikels in der Volksstimme 10/ 8.
März 2003.