ASYL- UND FREMDENPOLIZEILICHES VERFAHREN UND RÜCKKEHR
Zulassungsverfahren

Bevor sich die Asylbehörden mit den Fluchtgründen beschäftigen, wird geklärt, ob Österreich für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Bei Fluchtwaisen gilt die Dublin-III-Verordnung nicht, Österreich ist somit automatisch zuständig, sobald die Minderjährigkeit anerkannt wird.

Zunächst findet eine Erstbefragung durch die Polizei statt. Bei unbegleiteten Minderjährigen außerhalb der Erstaufnahmestelle wird zu dieser kein*e Rechtsberater*in beigezogen. Vor der ersten Einvernahme am Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wird in diesen Fällen den Rechtsberater*innen (Rechtsberatung durch die BBU) die Möglichkeit eingeräumt, zur Erstbefragung Stellung zu nehmen, was in der Regel aber nicht passiert.

Die erste Einvernahme sollte innerhalb von 72 Stunden nach der Ankunft in der Erstaufnahmestelle stattfinden. Dies ist problematisch, da bisherige Erfahrungen gezeigt haben, dass Fluchtwaisen eine eingehende Befragung erst nach einer längeren Eingewöhnungsphase zugemutet werden sollte.

Die Abklärung der Zuständigkeit benötigt einige Wochen, sie kann aber auch bis zu mehreren Monaten dauern. Die Angst vor einer Rückführung (falls Fluchtwaisen als volljährig erkärt werden) nach Griechenland (derzeit ausgesetzt), Ungarn, Kroatien, Italien oder Bulgarien, ist für Minderjährige allgegenwärtig. Daneben ist vor allem die Altersfeststellung für die Jugendlichen sehr belastend.
Oft sind die Minderjährigen Wochen oder gar Monate im Zulassungsverfahren. Während dieser Zeit sind die Minderjährigen in Traiskirchen oder Reichenau an der Rax untergebracht.
Es gibt während des Zulassungsverfahrens keine obsorgeberechtigte Person oder Stelle. Die staatliche BBU ist mit der Rechtsvertretung im Asylverfahren beauftragt.

Inhaltliches Verfahren

Fluchtwaisen werden bei Asylverfahren nicht vorrangig behandelt, von daher können die Verfahren bei Fluchtwaisen, genauso wie bei volljährigen Asylwerber*innen lange dauern. Es werden auch die gleichen Punkte geprüft, wie bei erwachsenen Asylwerber*innen.
Somit können viele Verfahren nicht in der Minderjährigkeit beendet werden und keine Statistiken über den Ausgang von Asylverfahren zu den dann ehemaligen Fluchtwaisen gegeben werden.

Stellt ein Fluchtwaise (unbegleiteter minderjähriger Flüchtling) einen Asylantrag in Österreich, werden die Asylgründe laut Asylgesetzt geprüft. Es gibt hier keinen Unterschied zu Asylverfahren zu Erwachsenen Asylsuchenden, wobei natürlich das Kindeswohl auch hier vorrangig zu berücksichtigen ist.
Geprüft wird
- Asyl laut Genfer Flüchtlingskonvention
- subsidiärer Schutz laut europäischer Menschenrechtskonvention
- "Bleiberecht" - also die §§ 55, 56, 57
Alle Informationen zum allgemeinen Asylverfahren in Österreich hier.

Rechtliche Vertretung von Fluchtwaisen im Asylverfahren

Unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen wird im Asylverfahren eine rechtliche Vertretung bereitgestellt. Abgesehen vom Asylantrag können sie selbst keine Verfahrenshandlungen setzen, sind aber wie volljährige Asylwerber*innen zur Mitwirkung am Verfahren verpflichtet.

Aufgrund des Asylgesetzes bzw. einer Obsorgeentscheidung ergibt sich die Verpflichtung der Kinder- und Jugendhilfe (KJH) die rechtliche Vertretung der Minderjährigen im inhaltlichen Asylverfahren sicherzustellen.
Als Rechtsvertretung müssen sie bei den Einvernahmen anwesend sein, bekommen den Bescheid zugestellt und sind für das Einbringen von Rechtsmitteln verantwortlich.
Währen des Zulassungsverfahrens gibt es keine Obsorge und damit keine Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe. Eine allgemeine Rechtsvertretung gibt es auch nicht, lediglich ist die staatliche BBU für die Rechtsvertretung im Asylverfahren beauftragt. Für sonstige rechtliche Angelenheiten gibt es keine Rechtsvertretung. Da Minderjährige gewisse Schritte auch selbst nicht machen dürfen (zB Verfahrenshilfeanträge) ergibt sich hier eine Lücke.

Fremdenpolizeiliches Verfahren

Im fremdenpolizeilichen Verfahren sind Minderjährige bereits mit der Vollendung des 16. Lebensjahres handlungsfähig (vgl. FPG § 12 Abs. 1). Der einzige Schutz, der älteren Minderjährigen gewährt wird, besteht darin, dass die Fremdenpolizei verpflichtet ist gemäß § 12 Absatz 4 FPG den zuständigen Kinder- und Jugendhilfe über die Inhaftierung eines unbegleiteten Minderjährigen unverzüglich zu informieren.

Da im fremdenpolizeilichen Verfahren eindeutig Schutzinteressen des Minderjährigen berührt werden, steht die österreichische Rechtslage in einem Spannungsverhältnis zur Ansicht des UNO-Kinderrechtsauschusses, der empfiehlt, dass Altersgrenzen, die der Verselbständigung von Kindern und Jugendlichen entgegen stehen, tendenziell gesenkt werden sollten, während Schutzgrenzen im Interesse des Kindes möglichst hoch anzusetzen sind.

Die Prüfung des Kindeswohls ist im fremdenpolizeilichen Verfahren (entgegen den Vorgaben des Art. 5 lit.a der Rückführungs Richtlinie) im nationalen Recht nicht verankert.

Familienzusammenführung bei Fluchtwaisen

Informationen dazu beim Thema Familienzusammenführung

Abschiebung und Rückkehr

Freiwillige Rückkehr von Fluchtwaisen

IOM unterstützt bei der freiwilligen Rückkehr, unter Voraussetzung von den drei weltweit gültigen Prinzipien der Freiwilligkeit, Schutz der Würde und der Menschenrechte und der Souveränität des Staates (Rückkehr nur in Länder mit gültiger Aufenthaltsberechtigung).
 
IOM kann weltweit Unterstützung vor der Rückkehr, während der Reise und nach der Ankunft im Rückkehrland anbieten – vorausgesetzt, die Finanzierung dafür ist gesichert. Die Rückkehrberatung wird von Beratungsstellen wie Caritas, Verein Menschenrechte Österreich, Kärntner Landesregierung, bzw. auch von auf Menschenhandel spezialisierten Einrichtungen (LEFÖ-IBF) angeboten. Die Kostenübernahme für die Rückkehr bewilligt das BFA.

Bei Fluchtwaisen kann eine von IOM unterstützte freiwillige Rückkehr nur erfolgen, wenn es dem Kindeswohl entspricht. Außerdem muss der Wille des Kindes altersentsprechend berücksichtigt werden. Bei jenen unter 15 Jahren muss die Reise begleitet sein.
In Österreich braucht es dafür die Zustimmung des/der Obsorgeberechtigten nach sorgfältiger Kindeswohlprüfung, eine Kostenübernahmebestätigung des BFA und ein gültiges Reisedokument.
Im Rückkehrland braucht es das Einverständnis und Bestätigung der/des Obsorgeberechtigten, dass er/sie bereit ist, den/die MinderjährigeN bei der Ankunft zu empfangen, berechtigt und bereit ist, die Verantwortung für den/die Mj. bis zum 18. Lebensjahr zu übernehmen und die notwendigen Ressourcen hat, um sie/ihn zu versorgen.
 
2020 sind drei Fluchtwaisen freiwillig zurückgekehrt (Irak, Türkei, Schweiz). Die Zahl ist vermutlich Pandemiebedingt so niedrig. 2019 waren es zwischen Jänner und Oktober 61 Fluchtwaisen, die freiwillig zurückgekehrt sind (Afghanistan, Algerien, Iran, Nigeria, Russische Föderation, Serbien, Syrien, Ukraine).

Abschiebung von Minderjährigen

Vereinzelt kam es in den letzten Jahren zu Abschiebungen von Minderjährigen. 2020 wurde kein Fluchtwaise abgeschoben, aber 67 Kinder gemeinsam mit ihren Familien. 13 Kinder wurden 2020 in Schubhaft gehalten, elf davon waren Fluchtwaisen.
Laut Innenministerium werden die unbegleiteten Minderjährigen von Kontaktbeamt*innen immer an die Erziehungsberechtigten oder an Behörden der Kinder- und Jugendhilfe übergeben. Der/die – im Prozess der Abschiebung involvierte – unabhängige Menschenrechtsbeobachter*in konnte diese Vorgehen jedoch nicht bestätigen.

Wird ein Asylantrag abgelehnt und die Ausweisung ausgesprochen, bedeutet dies gleichzeitig ein Wiedereinreiseverbot von 18 Monaten in den gesamten EU-Raum.

Laut jüngstem EuGH Urteil darf eine Abschiebung eines Fluchtwaisen auch nur dann erfolgen, wenn eine geeignete Aufnahmemöglichkeit im Herkunftsland besteht – wenn sich also ein Mitglied ihrer Familie, ein offizieller Vormund oder eine geeignete Aufnahmeeinrichtung um den/die Minderjährige*n kümmert.
Auch mit der Abschiebung zu warten, bis der Minderjährige 18 wird, ist laut dem Urteil nicht möglich.

VIDEOWEGWEISER ASYLVERFAHREN
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