Asylverfahren | Archiv

Stellungnahme von Ass.Prof. Dr. A. Friedmann zur Novellierung des Asylgesetzes 2003 [19.05.2003]
 
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ASS.PROF. DR. ALEXANDER FRIEDMANN
Facharzt für Psychiatrie und Neurologie
Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger
P.A.: Universitätsklinik für Psychiatrie
Währinger Gürtel 18-20
A-1090 Wien



Stellungnahme von Ass.Prof. Dr. A. Friedmann zur Novellierung des Asylgesetzes


Vorwort

Der Gefertigte nimmt zu og. Novellierungsinitiative zum Asylgesetz insoweit Stellung, als sie sein Fachgebiet berührende Sachverhalte anspricht und letzteres für das Verfahren von Relevanz ist. Unkommentiert bleiben die nicht mit psychischer und/oder physischer Gesundheit und/oder Versehrtheit verbundenen Fragen des Verfahrens, etwa, ob es Asylgründe nach der Genfer Konvention vorliegen oder nicht, in welcher Weise AsylwerberInnen rechtsfreundlich vertreten oder beraten sind etc.

Allerdings ist dennoch darauf hinzuweisen, daß die psychiatrischen Belange im Asylverfahren in mehrfacher Weise für das Verfahren relevant sein können. Es sind dies folgende Aspekte:
Wie jedes Verfahren muß auch das Asylverfahren sicherstellen, daß AsylwerberInnen geschäfts- und prozeßfähig sind und über die im Gesetz vorgesehene Urteils- und Einsichtsfähigkeit verfügen. Dieses muß unter Umständen von der Relevanz der psychischen Verfassung von AsylwerberInnen für das eigentliche Asylverfahren unabhängig beurteilt werden können.
In einer Reihe von Fällen ist die psychiatrische Begutachtung von AsylwerberInnen von entscheidender Bedeutung, und zwar sowohl dort,
1. wo eine objektivierbare und nachweisbare posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) die behaupteten Verfolgungen der AsylwerberIn zu untermauern vermag,
wie auch dort,
2. wo das Vorliegen einer psychischen Störung zwar in keinem Zusammenhang mit Fragen des begründeten oder unbegründeten Asylbegehrens steht, aber einer möglichen Zurückschiebung entgegensteht.


Zur Sache

Aus verschiedenen Gründen ist davon auszugehen, daß es in den meisten Fällen von Asylbegehren unmöglich ist, binnen 72 Stunden zu einer Diagnose einer psychischen Störung (das Vorliegen einer PTSD inklusive) zu stellen oder gar zu erhärten, ganz abgesehen davon, daß weder AsylwerberInnen von ihrer Gestörtheit wissen bzw. die Relevanz dessen erkennen können, noch, daß die Beamten des Bundesasylamtes die fachliche Kompetenz haben, eine PTSD zu erkennen.

Die Erfahrung zeigt, daß das Bundeasylamt nicht einmal im Wiener Raum (wo immerhin die größte Konzentration von Fachärzten für Psychiatrie besteht) und schon gar nicht außerhalb davon leicht und in kurzer Frist auf entsprechend fachlich versierte Personen zurückgreifen können. Eine Entscheidungsfrist von 72 Stunden ist alleine schon aus diesem Grund einfach nicht einzuhalten.
Ein die Sachlage weiter komplizierender Umstand ist jener, daß auch innerhalb des Fachgebietes der Nervenheilkunde (1) FachärztInnen für Neurologie und Psychiatrie für die Diagnosestellung fachlich nicht ausreichend kompetent sind und (2), auch innerhalb der FachärztInnenschaft für Psychiatrie und Neurologie nur ein sehr begrenzter Anteil über die nötige Erfahrung der diesbezüglichen Diagnostik verfügen (s. hiezu "Posttraumatic Stress Disorder in Litigation", R.I.Simon (Ed.), American Psychiatric Press, Inc., 1995).

Darüberhinaus ist darauf hinzuweisen, daß es ohne äußeres Zutun bis zu sechs Monate nach Trauma dauern kann, bis sich erste Anzeichen der Störung manifestieren und weiters, daß das Störbild meist erst deutlich wird, wenn sich die äußere Situation des/der Betroffenen beruhigt.
Schließlich und nicht an letzter Stelle sei vermerkt, daß in Fällen, in welchen traumatisierte Personen mit einem inneren Schuld- oder Schamgefühl, das aus der Verfolgungssituation stammt, kämpfen, es eine gewisse Zeit einfühlsamer und psychologisch versierter Gespräche bedarf, um solche Umstände offenlegen zu können. Dies gilt im Besonderen und unter anderem für Opfer sexualisierter Gewalt, für Folteropfer und für "zufällige" Überlebende eines Massakers.

Daher bedeutet eine Befristung um 72 Stunden im Zulassungsverfahren geradezu zwangsläufig einen Mangel im Verfahren selbst.

Ein anderer Umstand belastet eine solche Befristung ab origine: Im Falle des Vorliegens eines PTSD bedeutet ein solcher Zeitdruck zwangsläufig, daß betroffene AsylwerberInnen Opfer dieses Drucks werden - genauer gesagt: einer sequentiellen Retraumatisierung unterworfen werden. Dieses hat damit zu tun, daß die Einvernahme unter verhörähnlichen Umständen erfolgt und AsylwerberInnen sich ohne Beistand, Beratung und Unterstützung "der Staatsmacht" gegenübersehen, sich also bei vielen unter ihnen jene Situation wiederholt, der sie durch Flucht zu entgehen suchten bzw. die oft auch Auslöser von Flucht und PTSD waren. Dieses gilt im übrigen auch dort, wo die Einvernahme unter größtmöglicher Rücksichtnahme erfolgt.

Dieses hat zur Konsequenz, daß
(1) sich der psychische Zustand von AsylwerberInnen entsprechend verschlechtert, in extremis auch in Elementarhandlungen wie Suizid(versuche) münden können, und
(2) AsylwerberInnen in eine Verfassung geraten können, in welcher sie keine realitätsbezogene Schilderung ihrer Asylgründe vorbringen können, und dies umsomehr, als ein PTSD für sich alleine schon eine nachvollziehbare Antragsbegründung im Asylverfahren erschwert oder gar verunmöglicht.

Das bedeutet neuerlich die Herstellung eines Verfahrensmangels und darüberhinaus, bei PTSD-Opfern, eine neuerliche, vielleicht sogar entscheidende Schädigung in deren Gesundheit und Heilbarkeit.


Abschließend möchte der Gefertigte noch festhalten, daß er durchaus befürwortet, daß Maßnahmen getroffen werden, um langjährige Asylverfahren zu verkürzen. Auch bejaht er das Bemühen, im Asylverfahren zwischen tatsächlichen Verfolgungsopfern und damit Asylberechtigten und anderen Migranten zu unterscheiden, als "den Spreu vom Weizen zu trennen", sieht sich jedoch im Sinne der Rechtssicherheit veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß Änderungen im Asylverfahren nicht dazu führen dürfen, daß "der Weizen mit dem Spreu" geopfert wird.



Ass.Prof. Dr. A. Friedmann, FA f. Psychiatrie & Neurologie, allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger