Europa | Archiv

Stellungnahmen zu aktuellen Richtlinienvorschlägen der EU Kommission [11.2001]
Die Europäische Union erarbeitet derzeit auf der Grundlage des Vertrags von Amsterdam Regelungen zur Vergemeinschaftung des Asyl- und Migrationsbereichs. Im Rahmen dieser Tätigkeit wurden in den letzten Monaten und Jahren in den wesentlichsten Punkten Entwürfe für Rechtsakte vorgelegt, die unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit der in diesem Bereich tätigen Nichtregierungsorganisationen haben werden.Aus diesem Grund erlauben wir uns, nachfolgende Stellungnahmen vorzulegen:
back   Übersicht Archiv Europa

1. Stellungnahme zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den
Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (KOM(2000) 578 endg. vom
20.September 2000)


2. Stellungnahme zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für
die Aufnahme vonAsylbewerbern in den Mitgliedstaaten(KOM(2001) 181 endg. vom 3. April 2001)


3. Stellungnahme zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend das Recht auf
Familienzusammenführung (KOM(2000) 624 endg. vom 10. Oktober 2000)


4. Stellungnahme zum Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des EU-Rates zur Bekämpfung des
Menschenhandels (KOM(2001) 854 endg. vom 22. Jänner 2001)




_ Amnesty international Österreich
_ Asyl in Not
_ Asylkoordination Österreich
_ Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen
_ Bewegung Mitmensch
_ Caritas Österreich
_ Caritas Wien
_ Deserteurs- und Flüchtlingsberatung
_ Diakonie - Evangelischer Flüchtlingsdienst Österreich
_ Integrationshaus
_ Peregrina
_ Romano Centro
_ Volkshilfe Österreich
_ Verein Zebra



 

Stellungnahme österreichischer Flüchtlingshilfsorganisationen zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (KOM (2000) 578 endg. vom 20. September 2000)




1. Zulässigkeit

Der Richtlinienvorschlag enthält Zulässigkeitsverfahren bei Drittlandssicherheit sowie bei vertraglicher Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union, die bereits im österreichischen Asylgesetz 1997 Eingang gefunden haben. Die Erfahrungen in Österreich haben gezeigt, dass die Umsetzung dieser Konzepte sich als faktisch undurchführbar erwiesen haben.
§ 4 AsylG über die Drittstaatssicherheit wurde seit seinem kurzen Bestehen bereits zwei Mal novelliert, ohne dass die verfahrensrechtliche Komplexität geringer geworden wäre. Betreffend § 5 AsylG (Prüfung der Zuständigkeit eines anderen EU-Staates zur Durchführung eines Asylverfahrens - Dubliner Übereinkommen) ist erst jüngst ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ergangen, das die österreichischen Asylbehörden zur umfassenden Prüfung hinsichtlich der Einhaltung der EMRK in anderen Mitgliedstaaten des Dubliner Übereinkommens anhält, um den menschenrechtlich gebotenen Schutz vor Abschiebung und das Recht auf Familienleben sicherzustellen. Aufgrund der umfassenden Ermittlungspflicht der Behörden und einer fehlenden Befristung der Verfahrensdauer in erster Instanz ist es zu überlangen Verfahren gekommen, die in Einzelfällen über ein Jahr lang dauerten. Während dieser Zeit haben Asylsuchende kein Aufenthaltsrecht, erhalten in der Regel keine Bundesbetreuung und sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen praktisch davon ausgeschlossen, selbst für ihren Unterhalt durch Erwerbstätigkeit zu sorgen. Zudem ist es ihnen in diesem Stadium des Verfahrens verwehrt, ihre Fluchtgründe vorzubringen. In der Praxis erweist sich darüber hinaus die Zurückschiebung in einen Drittstaat nach einer längeren Verfahrensdauer als nicht mehr durchführbar, sodass die Entscheidung gegenstandslos und ein reguläres Verfahren durchgeführt wird. Diese Art der Behandlung von Asylanträgen bringt mit sich, dass Flüchtlingen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention die ihnen zustehenden Rechte über einen beträchtlichen Zeitraum vorenthalten werden.
Wegen des soeben beschriebenen gänzlichen Scheiterns dieser Zulässigkeitsverfahren und in Anbetracht der Tatsache, dass gemäß einer von der Europäischen Kommission durchgeführten Evaluierung des Dubliner Übereinkommens lediglich in 1,7 Prozent aller Asylgesuche in der Europäischen Union Asylsuchende tatsächlich in einen anderen EU-Mitgliedsstaat überstellt werden, vertreten wir die Auffassung, dass von Zulässigkeitsverfahren generell Abstand genommen werden soll und Asylsuchende in jenem Land, in dem sie einen Asylantrag gestellt haben, ein inhaltliches Asylverfahren durchlaufen können sollen.


2. Offensichtlich unbegründete Asylanträge


Die Europäische Kommission hat sich bei der Definition von offensichtlich unbegründeten Asylanträgen auf den Beschluss Nr. 30 des Exekutivkomitees des UNHCR bezogen, wonach als offensichtlich unbegründete Anträge lediglich diejenigen anzusehen sind, die in eindeutig betrügerischer Absicht gestellt wurden oder nicht in einem Zusammenhang mit den in der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten oder anderen, die Gewährung von Asyl rechtfertigenden Kriterien stehen.
Falsche Angaben zur Identität oder zur Staatsangehörigkeit sollten im Gegensatz zu Artikel 28 Absatz 1 lit. a des Vorschlags der Kommission nicht als solche die Antragsablehnung als offensichtlich unbegründet rechtfertigen, sondern nur dann, wenn diese gezielt und bewusst verwendet werden, um eine in Wahrheit nicht drohende Verfolgung vorzutäuschen. Dies gilt auch für den Fall, dass der Asylsuchende keine Identitäts- oder Reisedokumente vorlegen oder keine zureichenden Angaben zur Bestimmung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit machen kann (vgl. Artikel 28 Absatz 1 lit. b) des Vorschlags sowie für den Fall, dass der Asylwerber einen neuen Asylantrag gestellt hat (Artikel 28 Absatz 1 lit. f).
Stets muss eindeutige Gewissheit bestehen, dass der Asylantrag "jeglicher Grundlage entbehrt", da er "keinerlei Hinweis auf eine dem Asylwerber drohende Verfolgung oder keine detaillierten oder persönlichen Angaben enthält", wie in der Begründung des Vorschlags ausdrücklich ausgeführt wird.
Die im Richtlinienvorschlag vorgesehene Erstellung von Listen sicherer Herkunftsstaaten ermöglicht es, von einer individuellen Fallprüfung abzusehen, was unserer Meinung nach in Widerspruch zu Artikel 3 GFK steht. Da sich das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten in Österreich überdies als praktisch totes Recht erwiesen hat, vertreten wir die Auffassung, dass es bei der Definition offensichtlich unbegründeter Anträge keine Berücksichtigung finden soll.
Hinsichtlich Artikel 28 Absatz 1 lit. c, wonach Asylanträge als offensichtlich unbegründete zu behandeln sind, wenn sie in der letzten Phase eines Abschiebungsverfahrens gestellt wurden, merken wir an, dass in diesem Fall kein ausreichender Grund gesehen wird, den Antrag als missbräuchlich zu behandeln. Für eine Person kann sich im Gegenteil genau zu diesem Zeitpunkt die Notwendigkeit ergeben, Asyl zu beantragen und Abschiebungshindernisse geltend zu machen, wenn ihr die Ausweisung droht. Zudem sollte sich die offensichtliche Unbegründetheit eines Antrags stets an inhaltlichen Kriterien orientieren und nicht allein auf formelle Gründe abstellen.


3. Beschleunigte Verfahren

Da ein beschleunigtes Verfahren grundsätzlich nur bei tatsächlicher Offensichtlichkeit der Unbegründetheit des Asylantrages durchgeführt werden soll, begrüßen wir die Einführung kurzer Fristen für die Entscheidung. Um jedoch wirklich von einem beschleunigten Verfahren sprechen zu können, sind wir der Meinung, dass die vorgesehenen Fristen reduziert werden sollen. Wir schlagen deshalb vor, dass ein beschleunigtes Asylverfahren in erster Instanz spätestens binnen 2 Monaten ab Antragstellung abgeschlossen sein muss.
Gemäß Artikel 33 Absatz 2 lit. b sieht der Vorschlag der Europäischen Kommission die Möglichkeit vor, im beschleunigten Asylverfahren die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen auszuschließen. Wir hegen schwerwiegende Bedenken hinsichtlich dieser möglichen Abweichungen von der grundsätzlich vorgesehenen Gewährung der aufschie-benden Wirkung von Rechtsbehelfen. Die Aussetzung der Abschiebung bis zu einer endgültigen Entscheidung über einen Asylantrag ist angesichts der möglichen verheerenden Folgen einer Fehlentscheidung eine grundlegende Garantie. Diese Forderung muss vor dem Hintergrund der fundamentalen Bedeutung betrachtet werden, die dem Prinzip des Non-refoulement zukommt. Wir fordern nachdrücklich, dass das Prinzip der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen ablehnende Entscheidungen über Asylanträge unabhängig davon gelten muss, ob solche Entscheidungen in regulären oder beschleunigten Verfahren erfolgen.


4. Zugang zu Rechtsberatung

Gemäß Artikel 9 Absatz 2 und 3 ist der Zugang zu Rechtsberatung für Asylsuchende, die sich in abgeschlossenen Bereichen befinden (Schubhaft oder Transitzonen von Flughäfen) oder die ein beschleunigtes Verfahren durchlaufen, nicht gewährleistet. Unserer Meinung nach ist es völlig inakzeptabel, Asylsuchende beim Zugang zu Rechtsberatung einzuschränken. Es ist für ein faires Verfahren grundlegend, sich eines Rechtsbeistandes bedienen zu können.
Die geplante Einschränkung des Anwesenheitsrechts des Bevollmächtigten oder Beistandes bei der Befragung in "abgeschlossenen Bereichen" ist weiters mit internationalen Standards nicht vereinbar. Insbesondere in "abgeschlossenen Bereichen" sind die Asylsuchenden auf effektiven Beistand angewiesen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte müssen die Staaten den Asylsuchenden in Transitzonen angemessene Verfahrensgarantien gewährleisten. Dies gilt unabhängig davon, ob der Asylsuchende im rechtlichen Sinne eingereist ist. Die Verpflichtung, effektive Verfahrensgarantien sicherzustellen, ist allein von der physischen Anwesenheit eines Betroffenen im Staatsgebiet abhängig. Dementsprechend sollte der Vorschlag dahin geändert werden, dass insbesondere in "abgeschlossenen Bereichen" ein effektiver Zugang des Bevollmächtigten oder Beistandes gewährleistet wird. Die Asylsuchenden dürfen verfahrensrechtlich nicht schlechter gestellt werden als Untersuchungshäftlinge.
Wir sehen keinen Grund, die Anwesenheit des rechtlichen Beistands oder Beraters während solcher Anhörungen zu beschränken. Ihre Hilfestellungen können im Verfahren zur Entscheidung über die Zulässigkeit oder im beschleunigten Verfahren genauso wichtig sein wie im regulären Verfahren. De facto könnte diese Hilfestellung gerade in Verfahren, bei denen die mögliche Folge der Einvernahme die rasche Abschiebung in ein Drittland ist oder bei denen die die Anhörung durchführende Person enge zeitliche und/oder andere Vorgaben hat, sogar noch wichtiger sein.
Darüber hinaus darf die kostenlose Rechtsberatung nicht erst nach der ablehnenden Behördenentscheidung einsetzen, sondern ist bereits vorher zu gewährleisten (vgl. Artikel 9 Absatz 4 des Vorschlags). Die umfassende Beratung des Asylsuchenden insbesondere auch über seine Mitwirkungspflichten beugen Fehlentscheidungen vor und fördern so das öffentliche Interesse an der Richtigkeit der Entscheidung und dienen damit auch der Gerechtigkeitsgewähr und der sachgerechten Beschleunigung des Verfahrens. Eine umfassende kostenlose Rechtsberatung sollte daher in jeder Verfahrensphase sichergestellt werden.
Der Zugang zu kostenloser Rechtsberatung sollte somit in die Verfahrensgarantien des Artikels 7 Eingang finden. Insbesondere sollten Asylsuchende garantierten Zugang zu allen Flüchtlingshilfsorganisationen erhalten, unabhängig davon, ob diese im Auftrag des UNHCR tätig werden.


5. Schubhaft

Artikel 11 (1) des Vorschlags schließt Schubhaft von Asylsuchenden aus dem alleinigen Grund, dass ihr Asylantrag geprüft werden muss, aus. Diese Bestimmung führt weiter aus, unter welchen Umständen ein Asylsuchender im Hinblick auf den Erlass einer Entscheidung in Gewahrsam genommen werden darf, nämlich nur in Übereinstimmung mit den im innerstaatlichen Recht vorgeschriebenen Verfahren und nur so lange dies erforderlich ist.Die Gründe für das in Gewahrsam Nehmen umfassen aber auch Verfahren zur Feststellung des Rechts auf Einreise in das Hoheitsgebiet (Artikel 11 (1) lit. d).
Wir fordern die Streichung des letzten Grundes, da dieser keinen von UNHCR in dessen EXCOM-Beschluss Nr. 44 (XXXVII) anerkannten Grund darstellt. Wir geben dabei zu bedenken, dass jeder Rechtsakt der EU über die Anhaltung von Asylsuchenden dem relevanten internationalen Recht entsprechen muss.
Artikel 11 (2) des Richtlinienvorschlags sieht die "Möglichkeit" vor, Gewahrsams-anordnungen einer Überprüfung und weiteren regelmäßigen Überprüfungen zu unterziehen.
Wir fordern dazu auf, das Wort "Möglichkeit" durch "das Recht des Asylsuchenden" zu ersetzen, da die EU-Staaten kein Ermessen zur Durchführung eines rechtsstaatlichen Überprüfungsverfahrens haben sollen. Außerdem soll explizit die Verpflichtung, diese Überprüfungsinstanz als unabhängige und gerichtsähnliche Instanz auszugestalten, in den Vorschlag aufgenommen werden, um faire Verfahren zu gewährleisten.


6. Zurückziehung von Asylanträgen und Einstellung von Asylverfahren

Artikel 16 des Vorschlags regelt die Einstellung des Asylverfahrens im Falle der freiwilligen Rücknahme des Asylantrages bzw. wenn der Asylwerber den Behörden nicht mehr zur Prüfung des Antrages zur Verfügung steht. Gemäß Absatz 1 soll die Asylbehörde im Falle der freiwilligen Zurückziehung im Asylakt die Einstellung des Verfahrens vermerken.
Wir meinen, dass darüber hinaus klar gestellt werden soll, dass es sich bei einer Einstellung im Falle einer Zurückziehung nicht um eine inhaltliche Entscheidung über den Asylantrag handelt. Eine neuerliche Antragstellung ohne Änderung des Vorbringens soll somit jederzeit möglich sein, ohne dass der Antrag aufgrund der einstigen Zurückziehung als offensichtlich unbegründet abgewiesen werden kann.
Gemäß Absatz 3 könnte ein Antrag eines Asylwerbers, der vorübergehend den Behörden nicht für die Prüfung seines Asylantrages zur Verfügung gestanden ist (etwa weil er über keine Postanschrift verfügte) und dessen Verfahren eingestellt worden ist, als neuer Asylantrag betrachtet werden.
Wir sind jedoch der Ansicht, dass ein Asylverfahren (wie es auch der derzeit geltenden österreichischen Regelung entspricht) auf Antrag des Asylwerbers innerhalb von drei Jahren fortgesetzt werden soll, wenn es vorher eingestellt wurde. Jede andere Regelung würde zu einer unnötigen Verkomplizierung und Verlängerung des Verfahrens führen und ist daher abzulehnen.





 


Stellungnahme österreichischer Flüchtlingshilfsorganisationen zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedsstaaten
(KOM (2000) 181 endg. vom 3. April 2001)


Die österreichischen Flüchtlingshilfsorganisationen begrüßen die Bemühungen der Europäischen Kommission um die Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von AsylbewerberInnen in den Mitgliedsstaaten insbesondere vor dem Hintergrund der in Österreich derzeitigen völlig unzureichenden Aufnahmebedingungen. Wir bedauern jedoch, dass der vorliegende Richtlinienentwurf nicht in allen Punkten den international geltenden Menschenrechtsstandards (Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Europäische Menschenrechtskonvention, Internationaler Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte, Internationaler Pakt über die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Rechte, Konvention über die Rechte des Kindes, Internationale Konvention zur Beseitigung aller Formen der Rassendiskriminierung, Internationale Konvention über die Beseitigung jeder Formen von Diskriminierung der Frau, u.a.) entspricht, obwohl Artikel 15 in Absatz 2 ausdrücklich normiert, dass die Aufnahmebedingungen einem Standard entsprechen müssen, der den Schutz der Grundrechte der AsylwerberInnen gewährleistet.
Die Notwendigkeit von Änderungen sehen wir dabei insbesondere in den folgenden Punkten:


1. Anwendbarkeit der Richtlinie (Artikel 3, 2d, 2e, 9, 15)

Der Richtlinienvorschlag ist in seiner derzeitigen Form nur für die Aufnahme von AsylbewerberInnen obligatorisch. Eine Anwendbarkeit auf Personen, die um andere Formen der Schutzgewährung ansuchen, ist in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt. Die grundlegenden Rechte und Leistungen, die Schutzsuchenden zustehen, um in Würde leben zu können, muß nach nach ihren Bedürfnissen beurteilt werden und nicht nach den Gründen für ihren Antrag. Daher sprechen wir uns für eine umfassende Anwendung der Richtlinie auf alle Schutzsuchenden aus. In diesem Sinne sieht ja bereits Artikel 34 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einen Anspruch auf soziale Grundsicherung für alle rechtmäßig in der Europäischen Union wohnhaften Personen vor.
Einschränkungen der materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie Artikel 15 des Vorschlags vorsieht, sind sowohl für AsylwerberInnen im beschleunigten Verfahren als auch für Personen, die nach rechtskräftigem Abschluss eines Asylverfahrens nicht ausreisen oder abgeschoben werden können, berühren das Recht auf soziale Grundsicherung und sind daher unzulässig.
Weiters muss sichergestellt werden, dass der im Richtlinienvorschlag verwendete Familienbegriff mit Art. 8 EMRK konform ist und der Grundsatz der Familieneinheit umfassend gewährleistet wird. Wir fordern daher, dass die Anerkennung von Lebensgemeinschaften nicht von der gesetzlichen Lage im Aufnahmeland abhängig gemacht wird und auch Familienangehörige, die sich aus anderen Gründen im Aufnahmeland aufhalten, von der Richtlinie umfasst werden.


2. Recht auf Bewegungsfreiheit (Artikel 7)


Entgegen Artikel 7 des Entwurfes, nach dem Einschränkungen der Bewegungsfreiheit zum Zwecke der zügigen Bearbeitung der Asylanträge zulässig sind, sprechen wir uns generell gegen Freiheitsbeschränkungen für AsylwerberInnen aus. Weder dürfen Erstaufnahmezentren anhaltungsähnlichen Charakter haben noch AsylwerberInnen andernorts angehalten werden.


3. Zugang zu Schul- und Weiterbildung und zum Arbeitsmarkt (Art. 12, 13, 14, 19)

In Anbetracht der Förderung der Integration im Aufnahmeland und des Menschenrechts auf Bildung und Erwerbstätigkeit lehnen wir die im Kommissionsentwurf diesbezüglich vorgesehenen Fristen ab. Sofortiger und uneingeschränkter Zugang zu Kinderbetreuungseinrichtungen, dem öffentlichen Schulsystem, kostenlosen Sprach- und Orientierungskursen, beruflicher Bildung und zum Arbeitsmarkt ist zu gewährleisten.


4. Unterbringung (Art. 16, 17)

Wir begrüßen die im Richtlinienentwurf normierte Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Unterbringung von Asylsuchenden, vermissen aber eine eindeutige Prioritätensetzung für Unterbringungsformen, die die Eingliederung in die Aufnahmegesellschaft fördern. Demnach ist eine Unterbringung in Großquartieren auf die kürzest mögliche Zeit zu beschränken, kleinere Wohneinheiten zu bevorzugen und AsylwerberInnen die Möglichkeit einer weitestgehend selbständigen Lebensführung einzuräumen.
Insbesondere fehlt es auch an der Normierung von Mindeststandards der aufgezählten Unterkunftsformen.
Weiters darf die Unterstützung für Asylsuchende nicht deshalb gekürzt werden, weil sie bei Freunden oder Verwandten unterkommen. Die von der Kommission in diesem Zusammenhang eingeräumte Möglichkeit der Einschränkung der Leistungen könnte die Intention des Richtlinienentwurfs, einer Verarmung der AsylwerberInnen entgegenzuwirken, unterlaufen und ist darüber hinaus diskriminierend und integrationshemmend.
Effektiver Zugang zu Rechtsberatung, Spracherwerb, sozial-pädagogischer Betreuung, Kinderbetreuung, Bildung, medizinischer Versorgung, etc. muss für alle AsylwerberInnen gewährleistet sein. Diese Struktur steht in der Regel nur in Ballungszentren bzw. deren Einzugsgebiet zur Verfügung.
Nach Möglichkeit sind AsylwerberInnen in die Verwaltung der Unterbringungseinrichtungen und die Betreuung miteinzubeziehen.


5. Form der Unterstützung (Art. 17)

Es ist zu gewährleisten, dass AsylwerberInnen in Höhe und Umfang dieselben Geld- und Sachleistungen, wie von den jeweiligen Sozialsystemen der Mitgliedstaaten für ihre Staatsangehörige und EWR- BürgerInnen vorsehen, erhalten.
Geldleistungen soll dabei gegenüber Gutschein-Systemen Vorrang eingeräumt werden, da diese diskriminierenden Charakter haben können und die selbständige Lebensgestaltung der AsylwerberInnen einschränken.


6. Zugang zu medizinischer Versorgung (Art. 11, 20-22)

Neuankommenden Asylsuchenden soll eine umfassende Erstuntersuchung angeboten werden, Zwangsuntersuchungen sind hintanzuhalten.
ÄrztInnen und diesen zur Verfügung gestellten DolmetscherInnen sollten im Hinblick auf die spezielle Situation von Flüchtlingen geschult sein und auf kulturelle Unterschiede Bedacht nehmen.
Es ist sicherzustellen, dass die medizinische Versorgung auch die Kosultation eines Psychologen oder Psychiaters umfasst, sofern der/ die AsylwerberIn dies wünscht oder Anzeichen für eine Diagnose- und/oder Behandlungsnotwendigkeit vorliegen.
Zugang zu medizinischer Versorgung muss umfassend gewährleistet sein. Jegliche Einschränkungen insbesondere hinsichtlich der unterschiedlichen Verfahrensarten oder als Folge von Sanktionen sind unzulässig.


7. Kürzung und Streichung der Aufnahmehilfe (Art. 22)

Die zahlreichen im Kommissionsvorschlag normierten Gründe für die Einschränkung oder Aberkennung von Aufnahmebedingungen aufgrund negativen Verhaltens sind gänzlich inakzeptabel und widersprechen geltenden Menschenrechtsstandards: Grundsicherung kann nicht eingeschränkt werden.
Der Verlust des Anspruchs auf Grundsicherung kann nur bei einer länger als drei Tage dauernden Abwesenheit des Asylwerbers/ der Asylwerberin für die Zeit der Abwesenheit eintreten. Es ist sicherzustellen, dass die Aufnahmebedingungen im Falle der Rückkehr umgehend und automatisch wieder gewährleistet sind, wenn auch die Zuteilung in dasselbe Quartier unter Umständen nicht mehr möglich sein wird.
Auch sind Unterbringungseinrichtungen für AsylwerberInnen mit speziellen Bedürfnissen, wie etwa psychischen Auffälligkeiten oder aggressivem Verhalten, bereitzustellen.




 



Stellungnahme österreichischer Flüchtlingshilfsorganisationen zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates
betreffend das Recht auf Familienzusammenführung
(KOM (2000) 624 endg. vom 10. Oktober 2000)


Einleitend möchten wir die grundsätzliche Intention des vorliegenden Vorschlags der Europäischen Kommission begrüßen, in dem die Bedeutung des Rechts auf Familienleben auch für Drittstaatsangehörige in Übereinstimmung mit der Europäischen Menschenrechtskonvention anerkannt wird. Wir sind jedoch der Auffassung, dass die vorgeschlagene Richtlinie zum Teil weitreichenderer Bestimmungen bedarf:


1. Kernfamilie (Artikel 5 (1) lit a - c)

Im Richtlinienvorschlag sind nur Ehegatten bzw. Lebensgemeinschaften unter den im Richtlinienvorschlag erwähnten Voraussetzungen sowie deren minderjährige leibliche oder adoptierte Kinder als Kernfamilie mit Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung anerkannt, nicht aber sonstige Verwandte in aufsteigender Linie (Eltern) sowie erwachsene Kinder, die wegen ihres Gesundheitszustandes nicht selbst für ihren Unterhalt aufkommen können.
Wir sind der Meinung, dass alle genannten Gruppen dem Bereich der Kernfamilie angehören sollen, ebenso wie erwachsene Kinder, die beispielsweise wegen einer Ausbildung noch Unterhalt beziehen und somit von ihren Eltern abhängig sind, sowie andere abhängige Verwandte in aufsteigender Linie.
Auch das Kriterium für adoptierte Kinder, die Adoption müsse von den Behörden des betreffenden EU-Mitgliedsstaates formell anerkannt werden, wird als undurchführbar abgelehnt. Einerseits wären Beweisprobleme unabwendbar, andererseits sind Familienstrukturen in außereuropäischen Kulturen sehr von den unseren verschieden und stellen nicht immer auf Formalakte wie eine behördlich registrierte Adoption ab.


2. Familienbegriff (Artikel 5)

Wenngleich mit der geplanten Richtlinie der Großteil von Fällen der Familienzusammenführung erfasst sein dürfte, ist dennoch auf Folgendes hinzuweisen: Gemäß dem Richtlinienvorschlag sollen unverheiratete Lebenspartner, auch wenn ihre Beziehung auf Dauer angelegt ist, nur dann als Familienangehörige gelten, wenn in den Rechtsvorschriften des betreffenden EU-Mitgliedstaates unverheiratete Paare verheirateten gleichgestellt sind.
Wir sind der Auffassung, dass zur Ermöglichung eines dauerhaften Zusammenlebens auch unverheiratete Paare ? unabhängig von den jeweiligen nationalen Vorschriften ? von der Richtlinie erfasst sein sollen, da es sonst zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von Lebenspartnern in den verschiedenen EU-Staaten kommen würde. Analog dazu sollen auch homosexuelle Lebensgemeinschaften im Rahmen der Richtlinie entsprechende Berücksichtigung finden.
Gemäß dem Richtlinienvorschlag sollen unverheiratete Lebenspartner, auch wenn ihre Beziehung auf Dauer angelegt ist, nur dann als Familienangehörige gelten, wenn in den Rechtsvorschriften des betreffenden EU-Mitgliedsstaats unverheiratete Paare verheirateten gleichgestellt sind.
Nach dem Richtlinienvorschlag können die Mitgliedsstaaten der EU, ohne dass die oben genannten Voraussetzungen des Artikels 5 vorliegen, im Falle eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings auch anderen Verwandten die Einreise zur Familienzusammenführung gestatten, wenn keine anderen direkten Verwandten mehr leben oder solche unauffindbar sind.
Wir fordern, dass diese Kann-Bestimmung unbedingt durch eine Muss-Bestimmung ersetzt wird. Positiv werten wir aber, dass ein entsprechender Antrag nicht nur aufgrund fehlender Beweise für eine Verwandtschaft abgewiesen werden darf.


3. Ausbildung, Erwerbstätigkeit (Artikel 12)

Die Bestimmung, auch Kindern und Ehegatten des Zusammenführenden das Recht auf Zugang zur Ausbildung, zum Arbeitsmarkt und beruflicher Beratung, Fortbildung und Umschulung zu gewähren, wird von uns begrüßt. Dabei fordern wir aber die Ausweitung dieses Prinzips auf alle in Artikel 5 genannten Verwandten, wie Eltern oder erwachsene Kinder, die beispielsweise wegen einer Ausbildung noch Unterhalt beziehen und somit von ihren Eltern abhängig sind. Überdies sollen die vorgesehenen Wartefristen betreffend den Zugang zu den genannten Rechten (Artikel 13) für diese Personen nicht derart gestaltet sein, dass damit diese Rechte über einen längeren Zeitraum hinweg vorenthalten werden.




 



Stellungnahme österreichischer Flüchtlingshilfsorganisationen zum Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des EU-Rates zur Bekämpfung des Menschenhandels
(KOM(2001) 854 endg. vom 22. Jänner 2001)



Gemäß der Begründung zum Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des EU-Rates zur Bekämpfung des Menschenhandels dient dieser Rechtsakt unter anderem der Weiterentwicklung wichtiger Elemente des "UN-Protokolls zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, in Ergänzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität". Dieser Umstand sowie der Versuch, schwerwiegende Vergehen internationaler krimineller Vereinigungen europaweit zu bekämpfen, wird von uns sehr begrüßt. Nichtsdestotrotz möchten wir auf der Grundlage des vorliegenden Vorschlags hinsichtlich einzelner Punkte unserer Sorge Ausdruck verleihen.


Schutz für Opfer des Menschenhandels


Artikel 8 des Vorschlags sieht lediglich vor, dass Opfer des Menschenhandels einen angemessenen Rechtsschutz und eine entsprechende Stellung im Gerichtsverfahren erhalten sollen bzw. dass ihnen durch strafrechtliche Ermittlungen kein zusätzlicher Schaden zugefügt wird. Durch diese Bestimmung werden die speziellen Bedürfnisse der Opfer jedoch ungenügend berücksichtigt, weshalb wir die Auffassung vertreten, dass in einen Rahmenbeschluss zur Bekämpfung des Menschenhandels eine Regelung aufgenommen werden soll, die für Opfer des Menschenhandels Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung wegen ihrer illegalen Einreise und/oder ihres illegalen Aufenthalts vorsieht. Zudem sollen bei der Verfolgung von Straftaten, zu denen diese Personen gezwungen wurden, ihr Status als Opfer des Menschenhandels zu ihren Gunsten berücksichtigt werden.


Bewahrung des Rechts auf Asyl

Auch wenn wir uns der Tatsache bewusst sind, dass der Umstand, Opfer von Menschenhandel geworden zu sein, in der Regel keinen Anspruch auf Asyl begründet, möchten wir doch darauf hinweisen, dass sich unter den Opfern des Menschenhandels Personen befinden können, die die Flüchtlingseigenschaft erfüllen oder irgendeine andere Art internationalen Schutzes benötigen. Der Rahmenbeschluss zur Bekämpfung des Menschenhandels sollte daher in einem eigenen Artikel gewährleisten, dass sämtliche völkerrechtlichen Verpflichtungen bzw. Verantwortungen der Staaten sowie Rechte von Einzelpersonen unberührt bleiben.