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Zehn Empfehlungen des europäischen Flüchtlingsrat (ECRE) für eine Reform der Dublin Verordnung [15.10.2008]
Im März 2006 veröffentlichte der europäische Flüchtlingsrat einen Bericht über die Anwendung der Dublin II Verordnung ...
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In dieser Untersuchung über die Asylpraxis in zwanzig Mitgliedstaaten wurden gravierende Mängel festgestellt.
Laut europäischem Flüchtlingsrat liegt die Lösung nicht in einer verbesserten und einheitlicheren Anwendung der Dublin II Verordnung. Diese sollte vielmehr ersetzt werden durch ein alternatives System, welches umfassende Teilung der Verantwortung garantiert und die Schutzbedürftigkeit von Flüchtlingen respektiert. Im Rahmen der Vorschläge von ECRE für ein einheitliches europäisches Asylsystem sind auch die Empfehlungen für ein zukünftiges Dublin System zu sehen.

Kurzfristig ist eine Reform der Dublin Verordnung in den folgenden zehn Punkten dringend notwendig:

  1. Eine Novellierung von Artikel 16, welche den verantwortlichen Dublinstaat verpflichten soll, einen Asylwerber/eine Asylwerberin nicht zurückschieben zu dürfen,  bevor nicht eine vollständige und faire Untersuchung des einzelnen Asylantrags stattgefunden hat.
    Zu ergänzen ist hier weiters, dass auch im Fall der Wiederaufnahme eines Asylwerbers der Antrag umfassend geprüft werden muss und es für Dublin RückkehrerInnen keine diskriminierenden Bestimmungen geben darf - weder im Verfahren, noch bei den Aufnahmebedingungen.

  2. Eine Novellierung von Artikel 19 und 20. Alle AsylwerberInnen sollen ein Recht auf Berufung mit automatischer aufschiebender Wirkung gegen den Bescheid haben, mit dem die Überstellung in den sogenannten zuständigen Dublin Staat ausgesprochen wird.
    Derzeit ist in Artikel 19 und 20 der Dublin Verordnung das Recht auf Berufung gegen die Überstellung von einem Mitgliedstaat in einen anderen nicht explizit angeführt, was ein Risiko von Kettenabschiebung mit sich bringt. Refoulement ist nach Artikel 33 der Genfer Konvention und Artikel 3 des europäischen Menschengerichthofes verboten.

  3. Erweiterung der Definition „Familienmitglied“ (Artikel 2) um unverheiratete Paare, die in einer aufrechten und stabilen Partnerschaft leben, sowie um Hinterbliebene. Auch soll diese erweiterte Definition nahe Verwandte, die keine andere familiäre Unterstützung haben und erwachsene Kinder, die nicht fähig sind für sich selbst zu sorgen (beispielsweise wegen medizinischer Gründe) enthalten.

  4. Novellierung von Artikel 7: Die Zusammenführung von Familienmitgliedern, die bereits subsidiären Schutz oder irgendeinen anderen legalen Aufenthaltstitel in einem anderen Dublinstaat haben.

  5. Die Novellierung von Artikel 8: die Zusammenführung von Familienmitgliedern unabhängig vom Stadium ihrer Asylverfahren.
    Obwohl die Einheit der Familie ein fundamentales Recht des Flüchtlingschutzes ist, wird Familie in der Dublin Verordnung sehr eng und restriktiv gefasst. Lediglich EhepartnerIn (oder unverheirateter Partner/ unverheiratete Partnerin, sofern die nationalen Vorschriften eine Gleichstellung vorsehen), minderjährige Kinder und Eltern/Vormund, wo der Antragsteller/ die Antragstellerin minderjährig und ledig ist, werden in die Definition mit einbezogen. Eine Erweiterung des Ansatzes bezüglich Familienzusammenführung wäre nicht nur fairer für die Individuen, sondern würde auch effiziente Entscheidungen fördern und unerlaubten Sekundärwanderungen vorbeugen.

  6. Die humanitäre Klausel des Artikel 15 soll breiter und einheitlicher angewendet werden. Artikel 15 verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Zusammenführung von Familienangehörigen, wenn die Bindungen bereits im Herkunftsland bestanden und sie von der Unterstützung durch Angehörige abhängig sind. ECRE fordert rasche Antworten der angefragten Staaten.

  7. Unbegleitete Kinder sollen in jenem Mitgliedstaat ein rechtmäßiges Asylverfahren erhalten, wo sich Angehörige des Antragstellers/ der Antragstellerin befinden, wenn dies dem Kindeswohl entspricht. Im Fall der Abwesenheit von Familienmitgliedern soll jener Mitgliedstaat für das Asylverfahren verantwortlich sein, wo das Kind derzeit den Asylantrag gestellt hat.
    Die derzeitige Formulierung von Artikel 6 widerspricht der UN-Kinderrechtskonvention, wonach bei allen Maßnahmen das Kindeswohl bestimmend sein muß. Ein Transfer von unbegleiteten Kindern von einem Dublin-Staat in den nächsten widerspricht dieser Konvention in höchstem Maße.

  8. Weiters soll eine Klausel eingeführt werden, welche die Inhaftierung von AntragstellerInnen in der Dublin-Verordnung als letzte Möglichkeit vorsieht, wenn andere Maßnahmen sich im konkreten Fall als unwirksam erwiesen haben. Eine Haft muss Verfahrensrechte sicherstellen und auf ein Minimum an Zeit reduziert werden, um ihren rechtmäßigen Zweck zu erreichen. Außerdem sind unbegleitete Kinder in jedem Fall auszunehmen.

  9. Auch soll eine Klausel eingeführt werden, nach der AntragstellerInnen im Dublin II Verfahren dieselben Ansprüche auf bestimmte Leistungen haben müssen wie andere AsylwerberInnen gemäß den Mindeststandards der EU- Aufnahmerichtlinie.

  10. Mitgliedstaaten müssen Gebrauch von Artikel 3, Absatz 2, der Dublin Verordnung machen. Mitgliedstaaten haben die Verantwortung für jene Fälle zu übernehmen, wo notwendige medizinische Behandlung oder die Behandlung von Traumatas im zugewiesenen Dublin Staat nicht vorhanden sind.




Quelle: ECRE (2007): The Dublin Regulation: Ten Recommendations for Reform. AD1/3/2007/Ext/CN