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Asylsuchende haben Recht auf menschenwürdigen Lebensstandard [OTS, 27.11.2012]
Forderungen der NGOs zur Grundversorgung anläßlich des asylforums 2012 in Salzburg - Erhöhung der Grundversorgung ist nur Tropfen auf dem heißen Stein
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Wien (OTS)
Asyl- und Menschenrechts-NGOs üben scharfe Kritik an der fortgesetzten prekären Situation von Asylsuchenden in Österreich. Die bisher von der Politik umgesetzten Schritte zur Milderung der Situation, wie etwa die leichte Erhöhung der Grundversorgung, sind nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Auch der Asylgipfel hat kaum Fortschritte gebracht. In einem Forderungspapier präsentieren die NGOs jetzt eine Reihe an Maßnahmen zur Sicherung eines menschenwürdigen Lebensstandards von Asylsuchenden.

Fehlende Mindeststandards
Die 15a Vereinbarung von Bund und Ländern sollte ein einheitliches Betreuungssystem für Asylsuchende schaffen, tatsächlich seien jedoch sehr große Unterschiede bei der Grundversorgung vorhanden, die sich direkt auf das Wohlbefinden, die Gesundheit und die Entfaltung der persönlichen Potentiale von Asylsuchenden auswirken. Deshalb sei das System nicht nur hinsichtlich der Tagsätze reformbedürftig, es fehlen auch klar definierte Standards, die respektvolle und menschenrechtskonforme Lebensbedingungen sicherstellen, erläutert Anny Knapp von der asylkoordination die Intention des Forderungspapiers von Agenda Asyl.

Mehrheitlich ungeeignete Unterkünfte
Christoph Riedl, Leiter des Flüchtlingsdienstes der Diakonie betont, dass der weitaus überwiegende Teil, der im Rahmen der Grundversorgung für Asylsuchende bereitgestellten Unterkünfte, für eine zeitgemäße Betreuung von Asylsuchenden völlig ungeeignet sei. Das derzeitige System stelle in den wenigsten Fällen eine professionelle sozialarbeiterische Betreuung bereit und auch auf den individuellen Betreuungsbedarf werde in der Regel keine Rücksicht genommen. "Der Regelfall der Unterbringung sind abgewohnte und oft sehr abgelegene Gasthöfe oder Pensionen, in denen Asylsuchende oft Jahre ausharren müssen und nicht einmal die Möglichkeit haben sich ihre Nahrung selbst zuzubereiten", so Riedl.

Schlechte Qualität macht krank
"Die schlechte Qualität in der Grundversorgung macht krank", so Martin Schenk, Psychologe und Vorstandsmitglied des Betreuungszentrums für Folter-und Kriegsüberlebende Hemayat. Wir warnen: "Der Mangel an Qualität kann ihre Gesundheit gefährden." Wo die Fahrt zu therapeutischen Hilfen einem Gnaden- oder Willkürakt gleichkommt, dort verschärfen sich gesundheitliche Probleme. Wo es keine Gestaltungsmöglichkeiten in den Quartieren gibt, nur bloßes Warten, Absitzen, zur Untätigkeit verurteilt sein, dort verfallen und resignieren Menschen. Besonders schlimm für junge Leute. Und: Therapie ist Integration. Ohne therapeutische Unterstützung ist für viele Flüchtlinge kein normales Arbeits- und Familienleben möglich. Wenn extrem Traumatisierte sich wieder konzentrieren können, ist das die Voraussetzung für Lernen und Deutschkurse. Wieder Vertrauen können heißt weniger Konflikte in der Beziehung und Familie. Wieder Durchschlafen können heißt wieder Arbeiten und Tätigsein können".

Unzureichende Verpflegung
Christian Schörkhuber von der Volkshilfe Oberösterreich: "Eine Vollverpflegung in Quartieren muss der Vergangenheit angehören. Eigenständige Zubereitung des Essens schafft ein Stück Lebensqualität und lenkt vom eintönigen Flüchtlingsalltag ab. Warum Kinder und Jugendliche weniger Verpflegungsgeld als Erwachsene erhalten ist nicht nachvollziehbar und gehört schnellstmöglich abgeschafft!".

Angemessenen Lebensstandard von besonders Hilfsbedürftigen sicherstellen
"Ganz besonders vom Betreuungs- und Versorgungsmangel in der Grundversorgung betroffen sind schutz- und hilfsbedürftige Gruppen wie unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, AlleinerzieherInnen, Traumatisierte, Schwangere, Ältere und Kranke. Obwohl die Aufnahmerichtlinie eine individuelle Prüfung der besonderen Bedürfnisse und die Anpassung der allgemeinen Standards an die besondere Situation vorsieht, wird dem in Österreich nur sehr mangelhaft entsprochen", so Andrea Eraslan-Weninger, Geschäftsführerin des Integrationshauses. Der besondere Betreuungsbedarf sollte bereits bei Aufnahme in die Grundversorgung festgestellt werden. Adäquate und durch entsprechende Fachkräfte betreute Wohnplätze mit angemessener Vergütung müssen in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen. "Die derzeitigen Tagsätze decken in der Regel nicht einmal die Hälfte der anfallenden Kosten und berücksichtigen die Zielgruppen ungenügend", so Eraslan-Weninger weiter.

Schutz und Betreuung von Kindern und Jugendlichen
Kinder und Jugendliche, die allein auf der Flucht sind, haben ein Recht auf besonderen Schutz und adäquate Betreuung. Die Unterbringung und Betreuung von UMF fällt prinzipiell in die Zuständigkeit des Jugendwohlfahrtsträgers, weshalb Grundversorgungseinrichtungen für diese Zielgruppe den Standards der JWF entsprechen müssen. "Von den aktuell 1000 bis Ende November von den Bundesländern unterzubringenden Asylsuchenden sind 400 unbegleitete Minderjährige. Diese Kinder und Jugendlichen müssten längst in altersgerechten Quartieren in den Bundesländern untergebracht sein! Wir dürfen nicht zulassen, dass die Rechte von Flüchtlingskindern in Österreich mit Füßen getreten werden und fordern die Politik auf, hier endlich dem Kindeswohl entsprechende verantwortliche Lösungen zu treffen," so Eraslan-Weninger.

System der Disziplinierung und Sanktionierung
Alexandra König charakterisiert das gegenwärtige Grundversorgungssystem als komplexes System der Disziplinierung und Sanktionierung. Die Gewährung der Leistungen der Grundversorgung sei an die "gute Führung" von Individuen geknüpft, während "unerwünschtes" Verhalten etwa durch Verlegungen in abgeschottete Unterkünfte oder Taschengeldentzug sanktioniert werde. "Das Drohpotential muss sich hierbei nicht notwendigerweise realisieren, allein die bloße Existenz eines solchen Systems produziert Machteffekte und stellt einen erheblichen Einschnitt in die individuelle Selbstbestimmung von Asylsuchenden dar", so König.

Solidarität mit Flüchtlingsprotesten
asylkoordination österreich, Diakonie, Verein Projekt Integrationshaus, Hemayat, SOS Mitmensch und Volkshilfe drücken ihre Solidarität mit den protestierenden Flüchtlingen aus und fordern die Politik dazu auf, rasch zu handeln. Denn alle Menschen in Österreich haben das Recht auf einen menschenwürdigen Lebensstandard.


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