Betreuung

Burnout in der Flüchtlingsarbeit [Marion Kremla, asylkoordination aktuell 1/2001]
Aus engagierten Helfern werden Zyniker, einstmals fähige Beraterinnen ergehen sich in Resignation und wirken antriebslos. Wer sein Engagement für Andere ohne Rückversicherung für die eigene Person auslebt, schlittert oft selbst in existentielle Krisen.
back   Übersicht Archiv Betreuung

Ein Sammelbegriff
Burnout ist ein dankbarer Begriff. Nicht nur wegen seiner hohen Suggestionskraft, sondern auch weil sich mittels der Diagnose ein Bogen spannen lässt vom "Mir reicht´s, ich kann nicht mehr" verzweifelter KollegInnen bis zur besonders eklatanten Zynik einschlägig bekannter BeamtInnen ("der hat a schon an Burnout").
Bevor nun aber die Inflation eines Begriffs beklagt wird, sei darauf hingewiesen, dass offensichtlich niemals eine einheitliche Definition eines Syndroms existiert hat, das - darüber zumindest besteht Einigkeit - zu tun hat mit einem Prozess der Verwandlung großen Engagements in Resignation als Folge wiederkehrender Frustrationen. Von "Krankheit des Überengagements" ist die Rede, von Burnout als "Gefühl des Ausgepumtseins". Und nicht nur die Sachbuchabteilung liefert Beschreibungen, auch in der Belletristik wird man fündig: Graham Greene hat in einem Roman mit dem Titel "a burnt out case" anhand eines Helfers in einer Leprakolonie eben jene Symptome geschildert, die als Burnout Prozess charakterisiert werden.

Die Erscheinungsweise von Burnout

Schlagworte zu diesen Symptomen: "... Eine Metamorphose von anfänglich aufopferungsvollen, engagierten und pflichtbewußten MitarbeiterInnen in Richtung zu zynischen bis negativen Einstellungen und rigidem Verhalten neigenden." (Luks, S. 138) Zunächst wird also die helfende Arbeit zum Zentrum des Lebens, das Verbessern der Situation der KlientInnen zum Ziel, hinter dem alle anderen zurückstehen müssen.
Die Position als BeraterIn erscheint als Herausforderung einer immer wieder neu und bestmöglich zu gestaltenden Rolle, möglichst als eine, die der Ohnmacht und Verzweiflung der KlientInnen Hoffnung entgegensetzt und Lösungen anzubieten hat. Hohe Erwartungen und das trügerische "Vielleicht-Geht´s-Ja-Doch", dem man selbst so gerne glauben möchte, auch in den aussichtlosesten Fällen. Wie kommt es zu einem Engagement, das ständig die persönliche Belastungrenze entlangschrammt oder überschreitet?

Die Lust des Engagements
Antworten gibt es von psychoanalytischer Seite, aber auch aus physiologischer Sicht. Letzere vergleicht das Erlebnis des Helfens mit der gesundheitsfördernden Wirkung von Meditation oder Ausdauersport, weist in Studien erhöhten Endomorphingehalt im Helferblut und eine Zunahme subjektiven Wohlbefindens nach.
Die Theorien zu den psychischen Hintergründen dieser Hochgefühle sorgen seit den siebziger Jahren für Diskussionen, die m.E. der teilweise provokanten, weil pathologisierenden Sprache - "Helfersyndrom", "Messiasfalle" etc. - geschuldet sind. Nach Abzug des aufdeckerischen, "entlarvenden" Gestus bieten diese Theorieansätze wie z.B. der von Schmidbauer oder Freudenberger einen hohen Erklärungswert für die Motivation zur sozialen Arbeit und wichtige Anhaltspunkte für eine Selbstreflexion, die eine Annäherung an bis dato besser unbewußt bleibende (Größen-) phantansien zum Ziel hat.
Kurz gefaßt hat das Hochgefühl, das in sozialer Arbeit erlebt werden kann, häufig damit zu tun, dass die Position als HelferIn Chancen auf das Erleben eigener Stärke und Einflußmölichkeit bietet. Weiters auf Anerkennung und Gebraucht- werden. Die Aussicht, durch gute Rechtsmittel einem Menschen den Neuaufbau einer Existenz zu ermöglichen, hat Charme, ohne Zweifel.
Dass dem nicht immer so ist, dass diese Aussicht viel zu selten aufgeht, darin liegt genau jenes Frustrationspotential, durch welches ein burnout Zyklus in Gang gesetzt werden kann.
Nicht anders verhält es sich mit dem Motiv "Gebraucht werden". Das sinnstiftende Element darin wird zur Belastung, wenn aus einem Gefühl der Unverzichtbarkeit heraus kein Wochenende ohne Handy, kein Urlaub ohne "im Notfall erreichbar unter" - Zettel denkbar ist. Je mehr die Unverzichtbarkeit nicht nur sinn- sondern auch selbstwertstiftend wird, desto geringer freilich auch die Verlockung, der ständigen Erreichbarkeit ein Ende zu setzen.
Noch eine Bemerkung zum sinnstiftenden Element sozialer Arbeit: diese rührt bei näherer Betrachtung vor allem aus der Unmittelbarkeit. Die Arbeit mit konkreten Menschen für die konkrete Verbesserungen zu erwirken sind verspricht mehr Befriedigung als die Entfremdung der "normalen" Arbeitswelt, die das eigene Wirken bestenfalls als wichtigen Beitrag zum Weiterlaufen des Werkels "Betrieb XY" erlebbar macht. Insbesondere die Flüchtlingsarbeit hat diesbezüglich ein hohes Potential zu bieten.

Der Frust
Der Weg von der Motivation zur Resignation führt über den Dreischritt Erwartung - Enttäuschung - Ohnmacht. Dies geschieht wenn die Veränderungsoption nicht aufgeht. Und sie geht oft nicht auf. Gesetzliche Rahmenbedingungen, mangelnde materielle Ressourcen der NGOs , fehlende Falldokumentation hier, zuwenig Einschulung dort. Das Feld der möglichen Belastungen in der Arbeit mit Flüchtlingen ist enorm. Dabei ist in der bisherigen Aufzählung die Belastung durch die Schicksale der KlientInnen noch gar nicht erwähnt.
Ein speziell für die Flüchtlingsarbeit bedeutsamer Faktor ist die sekundäre Traumatisierung. Es handelt sich dabei um die Tatsache, dass das Erleben von Folter und Unmenschlichkeit nicht nur im Überlebenden Spuren läßt, sondern auch in jenen, die den Berichten von erlebten Grausamkeiten zuhören. Zuhören bedeutet Zeugenschaft und mit ihr sind Gefühle von Scham und Aggression verbunden. Die Erfahrung von Ohnmacht betrifft dann nicht nur die eigenen Handlungsmöglickeiten, sondern greift auf eine globale Ebene über: Ohnmacht und Vertrauensverlust gegenüber einer Welt, in der so Grauenhaftes möglich ist.
Die Auseinandersetzung mit den Grenzen des eigenen Einflusses ist unvermeidbar, sie trifft Neueinstiegerinnen manchmal schockartig, oder Schritt für Schritt, Fall für Fall mit zunehmender Beratungserfahrung.
Sie ist nicht per se negativ, sondern kann zu einem Einpendeln der Ziele auf einem realistischen Niveau führen, zum Eingeständnis: in diesem und jenem Fall werde ich auch mit noch soviel Mühe nichts oder nur wenig erreichen können. Dadurch ist noch nicht die schwierige Frage geklärt, wieviel Energie und Zeit dennoch in die Betreuung investiert werden soll. Dies ist unter anderem auch eine Frage der Philosophie und der Betreuungsstandards der jeweiligen NGO. Doch zumindest können realistische Erwartungen präventiv gegen Selbstvorwürfe und die leidige "Was-Hätte-Nicht-Noch-Alles-Getan-Werden-Können?"-Frage wirken.
Eine weitere Reaktion auf fordauernde Belastung ist denkbar: der Sprung in die Vernetzung und in das politische Handeln. Dieser Ansatz, angesichts enger Handlungsspielräume, sich dem Rütteln an den Rahmenbedingungen zu widmen ist logisch, unter dem Gesichtspunkt psychischer Belastung allerdings zweischneidig. Denn einerseits bietet das gemeinsame politische Vorgehen eine neue Handlungsmöglichkeit und damit eine Verringerung der Ohnmacht. Und - auch wenn das Sprichwort zu kurz greift - an "geteiltes Leid ist halbes Leid" ist was dran. Andererseits wiederholt der Sprung auf die politische Ebene im Grunde das Austesten der Einflußgrenze auf einer anderen Ebene, - inklusive des Verlaufs von Optimismus am Anfang (beim ersten Treffen) zu steigendem Frust bei zäher werdenden Folgeveranstaltungen.
Hinzu kommt die Tendenz, zusätzlich zur Einzelfallarbeit noch mehr Überstunden auf diversen Treffen zu verbringen. Dennoch, der Gewinn aus diesen Treffen, scheint zu überwiegen, nicht umsonst ist die Vernetzung im Flüchtlingsbereich intensiv wie kaum in einem anderen Sektor sozialer Arbeit.
Die Frustration kann aber auch einen anderen Weg gehen - wenn die Ursache des Scheiterns, sei es ein erfolgloses Rechtsmittel, sei es ein immer wieder Jobs oder Deutschkurse abbrechender Klient, vor allem in den eigenen ungenügenden Anstrengungen gesucht wird. Dann besteht die Gefahr, dass sich die Spirale aus noch mehr Anstrengung und noch mehr Frustration zu drehen beginnt, sehr hoch.
Hier ist ein als Korrektiv wirkendes Team gefragt, das sich nicht an der Verleugnung der Grenzen dessen was in realistischer Weise durchsetzbar bzw. mit einigermaßen normaler Arbeitszeit bewältigbar ist, beteiligt.

Burnoutsymptome als Selbstschutz
Kommt die Burnout - Spirale in Gang, droht der Punkt an dem sich die Betroffenen vor weiterer Überanstrengung und Selbstausbeutung schützen müssen - durch Distanz. "Es sammeln sich Enttäuschungen an, bis die Helfer wie vor einer Wand stehen. Da ihnen die Sorge um andere zu sehr an die eigene Substanz geht, neigen sie dazu, ihre Gefühle zu betäuben und ihre Alltagspflichten nur noch mechanisch und mit innerer Distanz zu erfüllen" (Luks, S. 138)
Dieses Stadium kann depressive und aggressive Komponenten beinhalten. Letzere machen sich in der Arbeit mit Flüchtlingen in Zynismus oder rassistischen Bemerkungen Luft. Daraus auf eine rassistische politische Grundhaltung zu schließen, und mit der ethisch-moralischen Keule darauf zu zielen, hat wenig Sinn. Eher gerecht wird dem Phänomen einst engagierter, jetzt entwertender KollegInen eine Betrachtung, die deren Ausdrucksweise als Ventil für Überlastung und aus Enttäuschung entstandener Wut sieht. Und die Ursache der Enttäuschung müssen nicht immer "Rahmenbedingungen" sein, sondern es kann auch an den KlientInnen selbst liegen.

Was tun?
Was bleibt nun als Prävention und Intervention? Einiges wurde schon erwähnt: Reflexion der Erwartungen an die eigene Arbeit, Überprüfung, wie realistisch diese sind, allein und im Team. Sich die Frage nach unbewußten Motiven und heimlichen (Retter-)phantasien (der KlientInen, des Teams, der Menschlichkeit in der Politik) erlauben. Den Austausch mit anderen suchen, die Rahmenbedinungen zu verändern versuchen usw..
Nicht zu unterschätzen ist der Wert, den ein funktionierendes Team für die Burnout-Prävention hat. Gemeinsame Standards hinsichtlich der Betreuung können Konkurrenz - um die Beliebtheit bei den Klientinnen, aber auch um die gefinkeltste juristische Herangehensweise - hintanhalten.
Supervision sollte es darüber hinaus ermöglichen, einem Team dieses Potential bewußt zu machen und eine Vorbildfunktion bieten, welche Fragen für die Reflexion der eigenen Berufsrolle förderlich sind.
Burnout Prävention kann niemals eine Feuerwehraktion sein. Seminare zu diesem Thema können Anregungen geben, aber nicht die laufende Auseinandersetzung mit der beruflichen HelferInnen-Rolle und mit Verantwortung gegenüber der eigenen Gesundheit, gegenüber den KlientInnen und den KollegInnen ersetzen.
Der Wert der "Erfindung" des Begriffs Burnout liegt vielleicht darin, dass ohne ihn lange nicht über den Frust und den Zynismus ausgepowerter HelferInnen diskutiert worden wäre. Denn mit dem Begriff "Burnout" stellt ein Synonym für eine Befindlichkeit bereit, die in der bloßen Beschreibung geradezu peinlich ist. Zur Illustration: "Ehrlich gesagt, die Fluchtg'schichten san ma schon so was von wurscht, und wenn's verfristet ist, brauch ma wenigstens nix machen" sagt sich schwerer als "ich glaub ich hab langsam so was wie ein Burnout". Burnout hingegen ist besprechbar - vielleicht sogar rechtzeitig.

Grundlage dieses Artikels ist die theoretische Beschäftigung mit dem Begriff Burnout im Rahmen einer Diplomarbeit sowie zahlreiche Gespräche mit FlüchtlingsberaterInnen - privat und im Rahmen von Burnout Präventionsseminaren. Und zu einem nicht unbeträchtlichen Anteil auch die eigene berufliche Vergangenheit.

[Marion Kremla - asylkoordination aktuell 1/2001]