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Agenda Asyl: Menschen nach Tschetschenien abschieben bedeutet, die Menschenrechte zu missachten. [Presseaussendung, agenda asyl, 18.04.2012]
Experten beurteilen die Lage in Tschetschenien weiterhin als gefährlich ...
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Angesichts der drohenden ersten Abschiebung mindestens einer tschetschenischen Familie von Österreich nach Tschetschenien beurteilten heute Vormittag Menschenrechts-ExpertInnen und Kenner der Situation in der russischen Föderation die aktuelle Lage in Tschetschenien.

Susanne Scholl, langjährige ORF Korrespondentin in Russland ist sich sicher: "Tschetschenen verlassen ihr Land nicht leicht und nicht leichtfertig. Die, die heute in Österreich leben, sind dazu gezwungen, weil sie zuhause in Lebensgefahr sind. Wer nicht zum Clan des Herrn Kadyrow gehört oder wer vielleicht gar mit seinen Gegnern zusammengearbeitet hat, riskiert den Tod, wenn er zurückkehrt."

Heinz Patzelt, Generalsekretär Amnesty International Österreich bezeichnete das gegenwärtige politische Klima in Tschetschenien als "Friedhofsruhe", was bedeute, dass die Menscherechtssituation keinesfalls zwangsweise Rückführungen von Tschetschen erlaubt. "Gründe dafür liegen vor allem in der systematischen Bedrohung von Rückkehrenden und ihren Angehörigen," so Patzelt. Außerdem herrsche in Tschetschenien bisher "Straflosigkeit für die Täter bisheriger Menschenrechtsverletzungen und der völlige Unwille zur Aufklärung dieser Verbrechen". Neuerdings fördere Präsident Kadyrow ausdrücklich menschenrechtsverletzende Entwicklungen auf Grundlage fundamentalistischer islamistischer Tendenzen und Verhaltensweisen. "Präsident Kadyrow begrüßte kürzlich ausdrücklich das Beschießen von unverschleierten Frauen mit Paintball-Waffen in der Öffentlichkeit," kritisiert Heinz Patzelt, Generalsekretär von AI Österreich die aktuellen Entwicklungen.

Rechtsanwältin und Vorsitzende von SOS Mitmensch, Nadja Lorenz, schilderte mehrere Fälle von tschetschenischen AsylwerberInnen in Österreich, die sie rechtlich im Asylverfahren vertritt, und betonte ebenfalls, dass das allgemeine Klima der Straflosigkeit und Rechtlosigkeit in Tschetschenien Rückführungen völlig unmöglich mache. "In beiden Asylinstanzen in Österreich werden die Fluchtgründe verharmlost und die Menschen selbst als unglaubwürdig hingestellt", so Lorenz. "Das bedeutet, dass Österreich, und auch andere europäische Länder ihre Verantwortung nicht wahrnehmen. Den Menschen ihre Geschichten nicht zu glauben, ist der einzige Weg, der negative Asylbescheide für Menschen aus Tschetschenien ermöglicht, denn wenn man ihnen glauben würde, müsste jeder von diesen Menschen Asyl bekommen," betont Lorenz.

Professor Hans-Georg Heinrich, emeritierter Professor für Politikwissenschaft der Universität Wien und Russland-Experte zeigte auf, dass in Tschetschenien unter Kadyrow ein Klima von ständiger Angst herrscht. "Tschetschenien ist bekanntlich ein Teil der russischen Föderation, wo sich im Allgemeinen die Menschenrechtslage verschlechtert hat. Es ist aber insofern ein besonderer Teil der Föderation, als Präsident Kadyrov als Gegenleistung für die Befriedung völlig freie Hand bekommen hat," betont Heinrich. Die offenen Kampfhandlungen des Bürgerkrieges seien im Wesentlichen vorbei, aber "das Regime herrscht weiter mit Hilfe von Unterdrückung, Angst und Korruption," so Heinrich. "Bei einer Festlegung, ob ein Asylgrund besteht oder nicht, wäre es fatal, sich auf die offizielle Darstellung oder gar auf Versicherungen des Tschetschenischen Präsidenten zu verlassen", unterstreicht Heinrich. Dazu komme, dass Kadyrow bekanntlich vom Wiener Verfassungsschutzamt unterstellt wird, Drahtzieher eines politischen Mordes gewesen zu sein.

Wenn sich das BMI entgegen des Verbotes für ein Refoulement entschließt, "steht der Vorwurf im Raum, das BM.I hätte mögliche Verbrechen an den Betroffenen billigend in Kauf genommen", fasste Heinz Patzelt, Generalsekretär Amnesty International Österreich, die Statements zusammen. "Denn es genügt im Falle einer massenweisen Abschiebung, dass ein einziger Abgeschobener unschuldig verfolgt, eventuell sogar ermordet wird."
"Sich nur darauf zu verlassen, dass man Verfolgung schwer nachweisen wird können, ist zu wenig," betonen die ExpertInnen unisono.

Im Netzwerk Agenda Asyl haben sich folgende Organisationen zusammengeschlossen: Asylkoordination, Diakonie, Integrationshaus, SOS-Mitmensch und Volkshilfe


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Anny Knapp, asylkoordination österreich
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