Sehr geehrter Minister Darabos!
Die Frage, ob überhaupt eine weitere Erstaufnahmestelle notwendig ist und welche Alternativen sich bieten, erscheint mir ein wesentlicher Punkt in der aktuellen Auseinandersetzung.
Es zeigt sich, dass der Verzicht auf eine umfasssende Evaluation vor der Debatte über weitere Maßnahmen im Asylbereich sich sehr ungünstig auswirkt. So behauptet das Innenministerium, eine weitere EAST zu brauchen und dies sei auch im Koalitionsübereinkommen festgelegt worden. Wurden damals Analysen über das Zulassungsverfahren vorgelegt, aus denen etwa auch erkennbar gewesen wäre, aus welchen Gründen und in welchen Fällen Zulassungsverfahren sich in die Länge ziehen? Liegen zumindest jetzt solche Analysen vor?
Die asylkoordination Österreich vermutet, dass es wohl noch Potential zur schnelleren Durchführung des Zulassungsverfahrens gibt:
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In Fällen, wo keine hieb- und stichfesten Hinweise für die Zuständigkeit eines anderen EU-Staates vorliegen, also insbesondere wenn kein Eurodac-Treffer vorliegt, sollte das Bundesasylamt das Verfahren in Österreich zulassen – monatelanges und letztlich ergebnisloses Anfragen bei anderen Staaten verhindert, dass AsylwerberInnen rasch zum inhaltlichen Verfahren zugelassen werden.
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Österreich sollte vom Selbsteintrittsrecht stärker Gebrauch machen, insbesondere bei Flüchtlingen, die über Griechenland nach Österreich gekommen sind. Es ist bekannt, dass die Situation der Flüchtlinge in Griechenland unzumutbar ist und Griechenland kein faires rechtsstaatliches Verfahren zur Feststellung des Schutzbedürfnissen hat. Viele haben Haft, Obdachlosigkeit, Hunger, die Willkür der Asylbehörde usw bereits erlebt und diese Flüchtlinge werden alles machen, um nicht nach Griechenland zurückgeschoben zu werden oder eben auch neuerlich nach Österreich kommen.
Ebenso wäre die humanitäre Klausel der Dublin-II Verordnung eine Möglichkeit, die Zuständigkeit insbesondere bei AsylwerberInnen mit familiären Bindungen zu Anhörigen in Österreich zu übernehmen bzw auch in solchen Fällen stärker vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Auch die Vorschläge der EU Kommission gehen in diese Richtung, über die Kernfamilie hinausgehende familiäre Bindungen stärker zu berücksichtigen. Gerade bei tschetschenischen Flüchtlinge sehen wir, dass Geschwister, volljährige Kinder oder Eltern zu in Österreich anerkannten Flüchtlingen kommen, eben meist über Polen. Aufgrund der schlechten allgemeinen Versorgung von Flüchtlingen in Polen und wegen der Familienbindungen wollen sie nicht zurück nach Polen. Auch hier sehen wir große Möglichkeiten, dem Dublin-System seine unmenschliche Härte zu nehmen und das traditionell über die Kernfamilie sich erstreckende Familienleben in Österreich zu ermöglichen. Dies würde auch die Integration fördern.
Durch solches aus humanitären Gründen durchaus rechtfertigbares Ausüben des Selbsteintrittsrechts wäre es möglich, viele AsylwerberInnen gleich zum Verfahren in Österreich zuzulassen. -
Bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen finden immer wieder zeitaufwendige und kostenintensive Altersfeststellungen während und auch nach Zulassung des Verfahrens statt, um die Zuständigkeit eines anderen EU-Staates festzulegen. Auf Alterskorrekturen gestützte Entscheidungen des Bundesasylamtes halten häufig der Prüfung durch den Asylgerichtshof nicht stand.
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Beschränkung des Zulassungsverfahrens auf die Zuständigkeitsprüfung gemäß Dublin-II-Verordnung und allenfalls Sichere Drittstaaten und Zurückweisungen wegen entschiedener Sache, Abstandnahme von den aufwändigen inhaltlichen Verfahren im Zulassungsverfahren. Die Durchführung der inhaltlichen Prüfung sollte an den Außenstellen des Bundesasylamtes durchgeführt werden, wo mehr Ressourcen und Know-how vorhanden sind.
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Gemäß den Erläuternden Bemerkungen zur Asylnovelle 2003 wurden die Erstaufnahmestellen EAST Ost, EAST West und Flughafen für 30.000 Asylanträge pro Jahr konzipiert. 2009 hat es rund 15.500 Asylanträge geben, dh die Kapazitäten zur Durchführung der Zulassungsverfahren müssten locker ausreichen, um mit gerade mal der Hälfte der damals angenommenen jährlich zu bearbeitenden Asylanträge zurande zu kommen. Andernfalls wäre unseres Erachtens zu prüfen, welche Schwachstellen den zügigen Verfahrensablauf entgegenstehen und entsprechende Maßnahmen zu treffen.
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Unserer Einschätzung nach reicht es, weitere Grundversorgungs-Betreuungsstellen des Bundes einzurichten, um die Anzahl der AsylwerberInnen in der EAST Traiskirchen zu reduzieren. In Thalham werden die Kapazitäten der EAST derzeit nicht ausgeschöpft. Diese Grundversorgungsquartiere sollten natürlich nicht abgelegen und auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar sein.
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Zahlreiche unbegleitete minderjährige Flüchtlinge leben monatelang in der EAST Traiskirchen (wir schätzen derzeit mehr als 100), obwohl ihr Verfahren zugelassen ist. Sie werden entgegen dem gesetzlichen Auftrag nicht in die Landesbetreuung überstellt. In den vergangenen Jahren wurden die Unterbringungsplätze der Länder für UMF reduziert – eine Initiative, um in den Bundesländer mehr Betreuungsplätze für UMF zu schaffen ist dringend notwendig.
Ich hoffe, dass diese Argumente bei der Suche nach Lösungen hilfreich sein werden.
Mit freundlichen Grüßen
Anny Knapp
(Obfrau)
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