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Appell an die österreichischen Asylbehörde [29.02.2008]
asylkoordination appelliert an die österreichischen Asylbehörden, AsylwerberInnen nicht nach Griechenland zurückzuschieben, sondern vom Selbsteintrittsrecht der Dublin-Verordnung Gebrauch zu machen. Norwegische Behörden haben die Aussetzung der Zurückschiebungen beschlossen. ...
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An
Bundesasylamt – Direktor Mag. Taucher
Innenminister Platter
Unabhängiger Bundesasylsenat – Vorsitzender Mag. Perl

Wien, 29. Februar 2008


Die asylkoordination österreich appelliert an die österreichischen Asylbehörden, Flüchtlinge nicht mehr nach Griechenland zurückzuschieben. Österreich soll dem Beispiel Norwegens folgen, das die Zurückschiebungen nach Griechenland aufgrund der zahlreichen kritischen Berichte über die Situation von Flüchtlingen in Griechenland gestoppt hat. Österreich soll von seinem Selbsteintrittsrecht bei Asylsuchenden, die über Griechenland nach Österreich gekommen sind, Gebrauch machen.


Anny Knapp
(Obfrau)


Im Folgenden eine Übersetzung des Appells der norwegischen NGOs und der
Ankündigung der norwegischen Berufungsbehörde über die Aussetzung der Dublin-Überstellung.

Die norwegische Organisation für Asylwerber NOAS und das Helsinkikomitee Norwegens haben am 25. Jänner 2008 an den Einwanderungs-Berufungssenat Norwegens einen Appell gerichtet, in dem sie den Stopp von Überstellungen nach Griechenland im Rahmen der Dublin II Verordnung fordern.

In einer Presseaussendung des Einwanderungs-Berufungssenats vom 7. Februar 2008 gibt dieser bekannt, dass bis auf weiteres die Überstellungen nach Griechenland ausgesetzt werden:
"Aufgrund der neuesten Informationen über mögliche Verletzungen der Rechte von Asylwerbern in Griechenland und aufgrund des Bedarfs an mehr Informationen über die Bedingungen von Asylwerbern in diesem Land hat der Immigrations-Berufungssenat bis auf weiteres Überstellungen nach Griechenland gemäß der Dublin-II-Verordnung eingestellt.

Dieses Ergebnis beinhaltet, dass der Immigrations-Berufungssenat keine Entscheidungen in Asylfällen treffen soll, aufgrund derer die Person nach Griechenland entsprechend der Dublin-II-Verordnung zurückgeschoben werden soll. Dies wird so lange fortgesetzt, bis neue Informationen über die Situation gesammelt und ausgewertet werden.

Bei Asylwerbern, deren Anträge vom Immigrations-Berufungssenat abgewiesen wurden und die nach Griechenland gemäß der Dublin-II Verordung zurückgeschoben werden sollen, wird ihre Verpflichtung, Norwegen zu verlassen, bis auf weiteres suspendiert. Das beinhaltet, dass bis auf weiteres diese Asylwerber nicht verpflichtet sind, die vom Immigrations-Berufungssenat getroffene vorangegangene Entscheidung zu befolgen, indem sie nach Griechenland zurückkehren. Der Polizei wurde die Anweisung gegeben, dass bis auf weiteres diese Asylwerber nicht nach Griechenland zu überstellen sind."


Die norwegischen NGOs begründen ihren Appell mit einer Reihe von Problemen im griechischen Asylsystem und fordern von den norwegischen Behörden, vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs.2 Gebrauch zu machen.

Risiko des Refoulement:


Das UN-Hochkommissariat  für Flüchtlinge (UNHCR) und etliche griechische Menschenrechtsorganisationen äußern erhebliche Bedenken über die Praxis der griechischen Behörden, irakische Flüchtlinge in die Türkei zurückzuschicken. Laut dem Hochkommissar schiebt die Türkei die Flüchtlinge häufig zurück in den Irak, wo sie dem Risiko der Verfolgung ausgesetzt sind. Eine schriftliche Mitteilung vom Hochkommissar, die im Sommer 2007 herausgegeben wurde, drängt die Mitgliedsstaaten  "Faktoren zu beachten, die ein indirektes Refoulement ergeben könnten." Dies gründet sich auf das Faktum, dass griechische Behörden, die für Immigration zuständig sind, eine kontinuierliche Praxis haben, teilweise die Verfahren auszusetzen (unterbrochene Anträge), für den Fall, dass der Antragssteller aus Griechenland ausreist, obwohl der Staat akzeptiert, ehemalige Asylwerber wieder anzunehmen. Dies bedeutet, dass ein Asylwerber, der später wieder nach Griechenland zurückgeschickt wird, riskiert, dass er/sie keine faire Prüfung seines/ihres Fall erhält.

Griechenland hat den niedrigsten Prozentsatz an bewilligten Asylanträgen in Europa. Zusätzlich fertigt Griechenland eine sehr geringe Anzahl an Aufenthaltsgenehmigungen aus humanitären  Gründen aus. Gemäß dem "Greek Helsinki Monitor" wurden nur 0,5 % der abgelehnten Antragssteller für Asyl Aufenthaltsgenehmigungen aus humanitären Gründen genehmigt. Dies bedeutet, dass Griechenland viele Asylwerber ablehnt, die sonst als Flüchtlinge anerkannt oder Schutz aus humanitärischen Gründen in Norwegen bekommen hätten.


Zugang zum Verfahren

Nicht nur Asylwerber mit "unterbrochenen Anträgen" haben Probleme mit dem Zugang zu einem Asylverfahren. Griechenland wird auch dafür kritisiert, dass es  keinen Zugang zu diesen Asylverfahren für Personen bietet, die verhaftet wurden, weil sie illegal über die Grenze gekommen sind. Die dänische Organisation für Flüchtlingshilfe berichtet auf ihrer Website, dass Griechenland im Jahr 2006 eine Gesamtzahl von 8157 Irakern als illegale Einwanderer inhaftiert habe. Nur 1415 von ihnen bekamen die Chance, einen Antrag einzubringen - aber niemandem(!) von ihnen wurde Asyl gewährt.

Die deutsche Organisation "Pro Asyl" veröffentlichte im Oktober 2007 einen Bericht in Zusammenarbeit mit griechischen Organisationen, der dokumentiert, wie Griechenland systematisch Menschenrechte verletzt, indem es Flüchtlinge an der Grenze zurückweist, viele von ihnen inhaftiert und misshandelt und die Flüchtlinge weiters mit Gewalt in die Türkei zurückschickt, von wo aus sie Gefahr laufen, wieder in ihr Heimatland abgeschoben zu werden, wo sie verfolgt werden.
In dem Bericht "Die Wahrheit ist vielleicht schmerzlich, aber sie muss gesagt werden" kann Folgendes nachgelesen werden:
"Die Polizei inhaftiert alle Neuankömmlinge, einschließlich Asylwerber und besonders gefährdete Einzelpersonen, die Opfer von Folter und Menschenhandel geworden sind, behinderte Personen, schwangere Frauen, Minderjährige und Flüchtlinge aus Ländern wie dem Irak, Afghanistan und Somalia. Ihnen wird automatisch der Abschiebungsbescheid zugestellt – ohne eine Anhörung und ohne eine Untersuchung über ihres Anspruches auf Schutz. Diese Praxis stellt tatsächlich eine Verweigerung des Zugangs zu einem  Asylverfahren dar."
Wegen dieser Information fordern die Organisationen, neben anderen, dass andere Dublin-Staaten den Transfer von Asylwerbern nach Griechenland gemäß den Prinzipien der Dublin-Verordung stoppen.


Die griechische Praxis, Flüchtlinge und Asylwerber aufzunehmen

Griechenland hat im Allgemeinen ein unterentwickeltes Asylsystem. Obwohl Asylwerber etliche Rechte nach dem griechischen Gesetz haben, hat dies nicht viel Relevanz in der Praxis, weil Asylwerber nicht über ihre Rechte informiert werden und weil die Behörden in der Realität diese Rechte nicht respektieren oder praktizieren. Als eine Konsequenz der Praxis, den Asylwerbern keine Übersetzer beizustellen, können diese in die Irre geführt werden, so dass sie die Anträge zurückziehen oder das Recht verlieren, zu berufen.

Die sozialen Bedingungen für Asylwerber, deren Anträge geprüft werden, sind ebenfalls inakzeptabel. Obwohl Griechenland etliche Tausend Asylwerber hat, sind die Lager nur für 740 Personen eingerichtet. Der Mehrheit der Asylwerber wird keine Unterkunft angeboten, auch keine gesundheitliche Versorgung oder andere sozialen Dienste. Die Situation ist vor allem für Familien mit Kindern untolerierbar.

Die Situation wird sich nicht dadurch bessern, dass viele Asylwerber für lange Zeit inhaftiert werden - und außerdem werden viele von diesen Opfer von Gewalt durch die griechische Polizei. Filmmaterial, das zeigt, wie die griechische Polizei Asylwerber und Einwanderer misshandelt, wurde auf verschiedenen TV-Kanälen und auf der Website Youtube ausgestrahlt.

Der "Greek Helsinki Monitor" informiert in einem Mail an das Helsinki Komitee  und an NOAS am 18. Jänner 2008 über einen Fall, wo ein iranischer Asylwerber ein Opfer von Gewalt durch die griechische Polizei wurde:
"Ein 18-jähriger Iraner reichte einen Asylantrag ein und wurde zu einem Interview vorgeladen. Ein Polizist mochte sein Verhalten nicht und wies ihn zurecht, Später, als alle Asylwerber gegangen waren, rief der Polizist den Iraner zu sich in die Interview Zone. Dort wurde er von drei Polizisten geschlagen und ohne Papiere hinausgeworfen…."


Die norwegische Praxis der Überstellung von Asylwerbern nach Griechenland

Dem Norwegischen-Helsinki Komitee und NOAS ist eine Entscheidung bekannt, die vom "Immigration Appeal Board" in Norwegen am 17. Dezember 2007 in Übereinstimmung mit dem Dublin II Verordnung gemacht wurde. Der Fall handelt von einem Asylwerber aus Aserbaidschan, der unter der Dublin II Verordnung nach Griechenland zurückgeschickt werden können hätte.
Das IAB stützte ihr Endergebnis in diesem Fall auf die Annahme, dass Griechenland Asylanträge in "vertrauenswürdiger Weise" behandelt. Dem IAB ist die Kritik über die griechische Asylpraxis bekannt. Wie auch immer- in ihrer Entscheidung bezieht sich das IAB auf die norwegische Botschaft in Athen, die berichtet, dass Maßnahmen getroffen wurden, die Situation zu verbessern und er kommt zu diesem Schluss:
"Entsprechend dem Verständnis des IAB gibt es keine Gründe zu glauben, dass griechische Behörden Fälle von Asylwerbern, die nach Griechenland entsprechend den Kriterien der Dublin-Verordnung wegen illegaler Einreise über die Grenze zurückgekehrt sind, nicht in einer vetrauenswürdigen Art behandeln.
Wir würden gerne unsere Kritik anbringen über die Entscheidung, die das IAB getroffen hat, die gegenwärtigen Verhältnisse in Griechenland nicht zu beachten, wie sie vom UNHCR und anderen Menschenrechtsorganisationen beschrieben wird, sonderns stattdessen sich auf griechische Behörden zu beziehen, die behaupten, dass sie "eine Initiative zur Verbesserung der Situation der Asylwerber gestartet haben."


Schlussfolgerung

Die Dublin-Verordnung setzt eine gemeinsame Verpflichtung voraus, die Flüchtlingskonvention und andere relevante Menschenrechtskonventionen zu respektieren.
Wir rufen die norwegischen Behörden auf den Transfer von Flüchtlingen  in ein Land wie Griechenland, das offensichtlich seine Pflichten nicht erfüllt, zu beenden. Norwegen hat in eigenständiger Verantwortung zu garantieren, dass eine Person, die Hilfe benötigt nicht direkt oder indirekt an einen Ort geschickt wird, wo ihr/sein Leben oder die Sicherheit in Gefahr ist. Außerdem, wenn man beides beachtet, nämlich rechtliche Sicherheit und humanitäre Fragen, sind wir der Ansicht, dass Norwegen sich entscheiden muß alle Asylanträge in Norwegen zu prüfen, für die Griechenland andernfalls verantwortlich wäre gemäß den Kriterien der Dublin-Verordnung.