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Sprachanalysen - Sprachmacht und Ohnmacht [Verena Plutzar, asylkoordination aktuell 4/2001]
Über die Unzulänglichkeit und Undurchsichtigkeit einer sich etablierenden Begutachtungspraxis.
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Sprachanalysen sind Sprachgutachten bzw. Sprachanalyseverfahren zur Herkunftsbestimmung von AsylantragstellerInnen. Sie werden von Ämtern, die für die Anerkennung von Flüchtlingen zuständig sind, in Auftrag gegeben. Dahinter steht die Hoffnung, dass anhand linguistischer Kriterien die Feststellung bzw. die Klärung nationaler Zugehörigkeit möglich ist, falls die Anhörung Zweifel an den angegebenen Staatsangehörigkeiten ergeben hat.
Sprachanalysen werden bei Flüchtlingen durchgeführt, denen unterstellt wird, dass sie "ihre wahre Herkunft verschleiern, um sich bessere Chancen auf Anerkennung zu verschaffen". Die Sprachanalysen lösen die bisher angewandte, wenig objektive Praxis ab, bei der Dolmetscher als selbsternannte Koryphäen Gutachten verfassten und kommen bei Flüchtlingen, die aus Regionen stammen, wo Sprachgrenzen nicht mit Staatsgrenzen übereinstimmen (z.B. Westafrika, Afghanistan/Pakistan/Iran, Albanien/Kosovo/Mazedonien) zum Einsatz.
Gegenstand der Sprachanalyse ist entweder die Muttersprache der Betroffenen, die als eine bestimmte, einem konkreten Staat zugehörige, erkannt und definiert werden soll, oder aber die Art und Weise, wie die Betroffenen Englisch (oder eine andere als offizielle Sprache verwendete ehemalige Kolonialsprache) sprechen.
Spezielle Fachstellen für Herkunftsgutachten existieren in der Schweiz (LINGUA beim schweizerischen Bundesamt für Flüchtlinge) und in Schweden (EQVATOR, die Sprachsektion der schwedischen Einwanderungsbehörde). Für die Errichtung einer eigenen Fachstelle in Deutschland lief beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) 1998 ein Pilotprojekt.
In der Zwischenzeit hat sich das Sprach- und Textanalyse Verfahren (S-T-A) etabliert.
Die S-T-A-Befunde werden in der BRD zunehmend von Verwaltungsgerichten akzeptiert. So hat das VG Potsdam die Klage eines Asylbewerbers abgewiesen, dessen Asylantrag auf Grund des Ergebnisses einer Sprachanalyse als unbegründet abgelehnt worden war. Ihm drohte zudem die Abschiebung nach Nigeria.
Das Gericht bestätigte, dass die Sprachanalyse zur Bestimmung der regionalen Herkunft des Asylbewerbers ein gerichtlich verwertbares Sachverständigengutachten sei. Das Gericht geht davon aus, dass bei afrikanischen Sprechern des Englischen die Zuordnung zu einer Herkunftsregion auf Grundlage von phonetischen, phonologischen, soziolinguistischen und soziokulturellen Anhaltspunkten verlässlich bestimmbar sei.

Ablehnung durch Sprachwissenschaftlern
AfrikanistInnen und Fachmenschen aus dem Bereich der Zweisprachigkeitsforschung sind sich einig: Sprachanalysen zur Feststellung der Staatsangehörigkeit oder auch der regionalen Zuordnung von Flüchtlingen aus Afrika sind unmöglich.
Wenn auch einer Analyse der Muttersprache eine gewisse Zufallstrefferquote zuerkannt wird, so betonen die Experten übereinstimmend, dass eine Zuordnung aus dem Gebrauch der Zweitsprache Englisch unmöglich ist.
In Afrika gibt es sehr viele Sprachen (allein in Nigeria um die 450, in Sudan voneinander unterscheiden z.T. nicht einmal miteinander verwandt sind. Die einzelnen Sprachen sind bei weitem nicht alle erforscht und beschrieben, geschweige denn werden sie von WissenschafterInnen beherrscht. [vgl. Stellungnahme von Prof. Dr. Raimund Kastenholz (Institut für Afrikanistik/Johannes Gutenberg-Universität Mainz)].
Sprachen sind, anders als in Europa 132, in Ghana 72,...), die sich stark , grundsätzlich nicht Sprachen einer oder mehrerer Nationen, sondern ihr Gebrauch erstreckt sich über Staatsgrenzen hinweg bzw. ist unabhängig von der Staatszugehörigkeit.
Europäische Sprachen spielen in Ländern südlich der Sahara die Rolle der offiziellen Sprachen, die sehr unterschiedlich von einzelnen BürgerInnen beherrscht werden. Regionale Aussprachen der europäischen Sprachen, z. B. des Englischen, tendieren zu örtlichen Nuancen, es gibt aber keine durchgehende Normierung oder Standardisierung des Englischen in verschiedenen afrikanischen Staaten. D.h. wenn ein/e BegutachterIn anhand des Gebrauchs der Muttersprache feststellen will, aus welchem Gebiet der/die Asylsuchende kommt, so müsste er/sie selbst zufällig aus dem selben Gebiet kommen. Andernfalls sind Aussagen wissenschaftlich gesehen nicht zulässig und daher fahrlässig. Es ist anzunehmen, dass das für den Sprachgebrauch des Albanischen und des Persischen ebenso gilt, wobei es dazu keine wissenschaftlichen Stellungnahmen gibt.
Die Feststellung der Staatsangehörigkeit oder der Herkunft aus einer Region über den Gebrauch einer Zweitsprache ist nach wissenschaftlichen Untersuchungen selbst in weniger komplexer Sprachsituationen, wie sie z.B. in Europa herrschen, unmöglich.

Wer führt die Sprachanalysen wie durch?
Trotz massiver Zweifel an der Qualität und Sinnhaftigkeit der Sprachanalysen beruft sich z.B. das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in der BRD auf, die Expertisen von Sprachwissenschaftern. Diese Experten sind oder waren bisher nicht bekannt. Vielmehr bleiben die Gutachter anonym, was den Verdacht aufkommen lässt, dass die Begutachter etwas zu verstecken hätten: nämlich den Mangel an fachlicher Qualifikation.
Bisherige Einsichten in Gutachten bestätigen diesen Verdacht: Als "ExpertInnen" werden Personen eingesetzt, deren Qualifikation darin besteht aus jenen Ländern zu kommen, die Asylsuchende als ihre Heimat angeben bzw. aus jenen, aus denen die Behörden glauben, dass Asylsuchende kommen. Ihre einzige Identifikation im Rahmen des Gutachtens lautet z. B.:"Ich, der ich dieses Tonband gehört habe, bin selber aus .....". Auf fehlende Wissenschaftlichkeit der GutachterInnen lässt schließen, dass sie, trotz Feststellung der extremen Kürze der Tonbandaufzeichnung oder deren schlechter Qualität, so dass man "kaum etwas verstehen kann", bereit sind ein Urteil über die Herkunft der Probanden abzugeben. Die Ergebnisse solcher "Gutachten" werden auf einem DinA4 Blatt in 15 Zeilen zusammengefasst - und sie sind erbärmlich.

Situation in der Schweiz und in Deutschland

Trotzdem ist die Akzeptanz der Sprachanalysen bei Ämtern und Gerichten erschreckend hoch. In der Schweiz sind sie als Teil sogenannter Lingua-Gutachten gerichtlich anerkannt. Dabei wird das Gutachterproblem umschifft, indem es heißt, dass der Gutachter eine hohe fachliche Qualifikation braucht, jedoch nicht jeder Gutachter über eine bestimmte Ausbildung verfügen muss. Hinsichtlich der fachlichen Kompetenz seien keine allgemeingültigen Kriterien festzulegen. Konsequenterweise hängt die Akzeptanz als Beweismittel nicht allein von der Person und der sachlichen Qualifikation eines Gutachters ab.
In der BRD werden Gutachten über Sprachanalysen regelmäßig als ein Indiz für die Bewertung der Glaubhaftmachung der Angaben zum Herkunftslandherangezogen. In der deutschen Rechtsprechung wurde für eine Analyse der Aussprachevarianten des in Westafrika gesprochenen Englisch die Sachkenntnis eines Anglisten als ausreichend erachtet, der sich noch nie in den analyserelevanten Gebieten aufgehalten hatte. Im Jahr 1998/99 wurden 475 Gutachten für das Bundesamt zur Anerkennung ausländischer Flüchtlinge erstellt; im Jahr 2000 waren es 649. Dabei fielen die Ergebnisse zu einem großen Teil gegen die Aussagen des Asylsuchenden aus.

Ergebnisse nach Herkunftslandzuordnung (HKL)

1998/99

Fälle

Ergebnis
Zuordnung auf anderes HKL als das angegebene 246 51,8%
Bestätigung des behaupteten HKL 77 16,2%
Keine Zuordnung möglich 62 13,1%
Mitbestätigung des behaupteten HKL (mehrere mögl.) 90 18,9%

2000

Fälle

Ergebnis
Zuordnung auf anderes HKL als das angegebene 402 61,9%
Bestätigung des behaupteten HKL 176 27,1%
Keine Zuordnung möglich 16 2,5%
Mitbestätigung des behaupteten HKL (mehrere mögl.) 55 8,5%

Die durchschnittlichen Kosten pro Gutachten liegen bei ca. EURO 380; wird ein weiteres benötigt, erhöht sich der Betrag entsprechend.

Situation in Österreich
Von Österreich aus wurde vom Bundesasylamt das schwedische Institut "Eqvator" mit Sprachanalysen beauftragt . Vor der Einvernahme wird ein Gespräch zwischen Asylsuchendem und Dolmetscher auf eine Kassette aufgenommen, die nach Schweden geschickt wird. Das Ergebnis fließt in den Bescheid ein. Insgesamt sollen 36 Sprachgutachten in Auftrag gegeben worden sein, in einem Fall wurde die Staatsangehörigkeit bestätigt und Asyl gewährt, in 16 von 22 Gutachten wurde ein anderer Sprachbereich und andere Staatsangehörigkeit festgestellt.
In etlichen Fällen wurden Sprachanalysen dann in Auftrag gegeben, wenn das Bundesasylamt die Angaben des Asylwerbers vor allem zum Herkunftsland für unglaubwürdig erachtet und deswegen den Antrag als offensichtlich unbegründet abweisen will. Mitunter bedeutet dies monatelange Schubhaft.
Vom Ubas sind bisher keine Entscheidungen bekannt geworden, die auf die Sprachanalysen eingehen.
P.C, Asylwerber aus Sierra Leone wurde bei seiner Einreise mit einem gefälschten spanischen Paß am Flughafen am 24. April in Schubhaft genommen. Am 16.8., also beinahe 4 Monate später, wird bei der Einvernahme vom Bundesasylamt ein Sprachtest durchgeführt. Der Grund für die Zweifel des Asylamtes über sein Herkunftsland waren unterschiedliche Angaben gegenüber der Fremdenpolizei am Tag der Ankunft und bei der Einvernahme am nächsten Tag, bei der er Nigeria als Herkunft angegeben hatte. Da die erste Einvernahme am Flughafen ohne Dolmetscher stattgefunden hat, könnte es zu Missverständnissen gekommen sein, da er ursprünglich mit seiner aus Nigeria stammenden Mutter nach dem Tod seines aus Sierra Leone stammenden Vaters von Sierra Leone nach Nigeria geflüchtet ist. Mitte September gab es noch kein Ergebnis des Sprachgutachtens, die Fremdenpolizei, die ihn für einen nigerianischen Staatsangehörigen hält, will die Schubhaft bis zum Ablauf der höchstzulässigen 6 Monate fortsetzen.

[Verena Plutzar - asylkoordination aktuell 4/2001]