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Stellungnahme der Arbeitsgruppe Menschenrechte für Kinderflüchtlinge zur Grundversorgungsvereinbarung [07.08.2003]
- Ministerialentwurf betreffend einer Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über gemeinsame Maßnahmen zur vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde (Asylwerber, Vertriebene und andere aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht abschiebbare Menschen) in Österreich - Art. 15a B-VG
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Die Arbeitsgruppe Menschenrechte für Kinderflüchtlinge begrüßt grundsätzlich den vorliegenden Ministerialentwurf zur Grundversorgungsvereinbarung.

Im Besonderen bewertet die Arbeitsgruppe die Tatsachen positiv, dass in der Vereinbarung anerkannt wird, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF), einer über die Grundversorgung von Erwachsenen hinausgehenden Unterstützung bedürfen und die Klarstellung, dass eine Erstabklärungs- und Stabilisierungsphase für UMF vorzusehen ist.
Die Umsetzung der Grundversorgungsvereinbarung würde zweifelsfrei zu einer deutlichen Verbesserung der Versorgung und Betreuung von UMF führen. Der vorliegende Entwurf lässt aber auch zentrale Problemstellungen ungelöst, diese sollen im ersten Teil der Stellungnahme erörtert werden.
Trotz der positive Gesamtbeurteilung des vorliegenden Entwurfs bestehen - speziell bei UMF - grundsätzliche Zweifel bezüglich der Vereinbarkeit der Vereinbarung mit der geltenden Gesetzeslage. Diese grundsätzlichen Bedenken werden im zweiten Teil dieser Stellungnahme skizziert.




TEIL I: KONKRETE KRITIKPUNKTE AM MINISTERIALENTWURF


Kosten


Zunächst ist anzumerken, dass die im Artikel 9 der Vereinbarung angegebenen Kostenhöchstsätze bezüglich der Unterbringung und Betreuung von UMF nicht mit den Berechnungen im Vorblatt übereinstimmen.
Die im Entwurf angegeben Kostenhöchstsätze von 50€, 40€ und 37€ pro Tag (gestaffelt nach Betreuungsintensität) sind keinesfalls ausreichend, um die im Artikel 7 aufgezählten Aufgaben im ausreichenden Ausmaß erfüllen zu können. Selbst die im Vorblatt angegeben Kostenhöchstsätze von 75€, 60€ und 37€ sind sehr niedrig bemessen. Die Kostensätze von Einrichtungen, die im Rahmen der Jugendwohlfahrt mit der Unterbringung und Betreuung von Jugendlichen betraut sind, liegen deutlich höher.
Für besondere Problemstellungen (körperliche, psychische oder geistige Beinträchtigungen) werden - insbesondere in Akutphasen - die Ressourcen der Unterbringungseinrichtungen keinesfalls ausreichen. Wenn es zu keiner generellen Anhebung der Kostenhöchstsätze kommt, sollte ein Fonds eingerichtet werden, aus welchem im Bedarfsfall zusätzliche Leistungen gedeckt werden können.


Sicherung der Qualität der Betreuung

Bisher wurden schulpflichtige UMF, weibliche UMF oder solche mit einem besonderen Betreuungsbedarf zumindest in einigen Bundesländern in Einrichtungen der Jugendwohlfahrt untergebracht. Dieser Bedarf wird auch zukünftig bestehen bleiben. Es ist daher notwendig klarzustellen, dass für UMF der Zugang zu diesen Einrichtungen auch nach der Umsetzung der 15a BV-G Vereinbarung möglich ist.
Weiters ist darauf zu achten, dass bei allen Unterbringungsplätzen die Qualität der Betreuung gesichert ist. Die Unterbringung und Betreuung von UMF soll demnach ausschließlich von Organisationen durchgeführt werden, die über einschlägiges Know How und besonders ausgebildete MitarbeiterInnen verfügen. In Art 4 der Vereinbarung sollte weiters festgeschrieben werden, dass die Sicherstellung und Kontrolle der altersadäquaten Betreuung und Unterbringung von UMF den Ländern obliegt.


Intensität der Betreuung

Als problematisch und den praktischen Erfahrung widersprechend wird von der Arbeitsgruppe Menschenrechte für Kinderflüchtlinge die Tatsache bewertet, dass laut Ministerialentwurf österreichweit nur 30 Wohngruppenplätze für Jugendliche mit besonderem Betreuungsbedarf vorgesehen sind. Nach Einschätzung der Arbeitsgruppe Menschenrechte für Kinderflüchtlinge sind mindestens doppelt so viele Intensiv betreute Unterbringungsplätze notwendig.


Betreuungsschlüssel

Die Angabe des Betreuungsschlüssels in Art 9 in der angegebenen Form ist unverständlich jedenfalls aber unüblich. Ein Betreuungsschlüssel von 1:10 bei Wohngruppen, 1:15 bei Wohnheimen oder 1:20 bei betreutem Wohnen kann wohl nur bedeuten, dass damit das Verhältnis der ständig anwesenden Betreuungspersonen zur Anzahl der betreuten UMF wiedergegeben wird. Dies würde bedeuten, dass eine Betreuungsperson pro 10; bzw.15; bzw. 20 UMF ständig anwesend sein sollte. Eindeutig und verständlicher wäre es, den Betreuungsschlüssel - so wie allgemein üblich - als Verhältnis von Personalstellen zu betreuten UMF anzugeben.


Kostenteilung statt Verteilung von Menschen

Ein Verteilungsschlüssel aufgrund der Bevölkerungszahl Art 1(4) ist sinnvoll für die Aufteilung der Kosten, nicht jedoch als Instrument für die örtliche Zuweisung. Die Erfahrung mit den derzeit bestehenden Quartieren der Bundes- und Landesbetreuung zeigen, dass Unterbringung in strukturell benachteiligten Gebieten als Ungleichbehandlung wahrgenommen wird, den Interessen und Bedürfnissen der Zielgruppe nicht gerecht wird und auch objektiv Nachteile hinsichtlich Unterstützung durch die jeweilige Community, Gesundheitsversorgung und Beschäftigungsmöglichkeiten bedingt. Aus diesem Grund sind Unterbringungsplätze in urbanen Gebieten bzw. regionalen Zentren, zumindest aber in Orten mit guter Verkehrsanbindung anzustreben.


Flexible Nutzung des Betreuungsangebots

Der Wechsel der Unterbringungseinrichtung sollte in begründeten Fällen rasch und unbürokratisch auch über die Grenzen von Bundesländern hinweg möglich sein, wenn dies mit dem Wohl des Jugendlichen zu vereinbaren ist.
Mögliche Gründe für den Wechsel des Unterbringungsortes können u.a. sein: Verwandte oder Community in einer bestimmten Region; optimale Nutzung des bestehenden Platzangebotes.
Weiters erscheint eine Nutzung des gesamtösterreichischen Betreuungsangebots auch deshalb geboten, weil nicht in allen Bundesländern Erstabklärungseinrichtungen für UMF vorgesehen sind. Es ist daher wichtig in der Vereinbarung vorzusehen, dass die Zuweisung an Folgeunterbringungsstellen durch die Jugendwohlfahrtsträger der jeweiligen Länder unter Bedachtnahme der Vorschläge der Erstabklärungseinrichtung erfolgt.
Problematisch ist, sollte das Asylgesetz in der derzeit vorgesehen Form geändert werden, dass es zu einer Verfestigung der Zuständigkeit des ersten örtlich zuständigen Jugendwohlfahrtsträgers bezüglich der Vertretung im Asylverfahren kommt. Dies wäre aber zumindest in jenen Fällen, in welchen nach der Erstabklärung und Stabilisierung die Verlegung in ein anderes Bundesland erfolgt nicht zielführend, da dies die Vertretungsarbeit der Jugendwohlfahrtsträger erschweren und zeitlichen und finanziellen Mehraufwand bedeuten würde.


Medizinische und psychotherapeutische Versorgung

Die möglichst frühzeitige Erkennung von Krankheiten ist sowohl für die Betroffenen selbst als auch für die MitbewohnerInnen und BetreuerInnen wichtig. Daher sollte für UMF die Möglichkeit der medizinischen und psychologischen Erstabklärung in der Vereinbarung vorgesehen werden.
Neben der medizinischen Behandlung sollte auch die psychotherapeutische Unterstützung von UMF, unter Berücksichtigung der besonderen Voraussetzungen (Dolmetscher), lückenlos möglich sein.


Bildung

Art 6(1) des vorliegenden Entwurf stellt die Übernahme der erforderlichen Fahrtkosten und die Bereitstellung des Schulbedarfs für schulpflichtige Kinder sicher. Diese Kosten sollten aber auch bei nicht mehr schulpflichtigen Minderjährigen, die eine Schule besuchen oder an einer Ausbildungsmassnahme teilnehmen, bereitgestellt werden.
Bei der örtlichen Planung der Unterbringungsplätze sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass diese immer im Einzugsgebiet von Ballungsräumen liegen. Nur so kann auch sichergestellt werden, dass die im Entwurf unter Art 7(3) vorgesehenen Schul-, Ausbildungs- und Berufsvorbereitungsaktivitäten für alle UMF tatsächlich zugänglich sind.


Erreichen der Volljährigkeit
Im Rahmen der Vereinbarung sollte sichergestellt werden, dass nach dem Erreichen der Volljährigkeit darauf zu achten ist, dass begonnene Massnahmen der Schul-, Ausbildungs- und Berufsvorbereitung fortgesetzt werden können. In begründeten Einzelfällen sollte auch der weitere Aufenthalt in der jugendspezifischen Einrichtung nach Erreichen der Volljährigkeit möglich sein.




TEIL II: Grundsätzliche Problematik


Fehlender Rechtsanspruch


Österreich ist bis spätestens 6.2.2005 verpflichtet, die Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Feststellung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylwerbern in den Mitgliedsstaaten, umzusetzen. Unter anderem ist in dieser der Rechtsanspruch von AsylwerberInnen auf Grundversorgung festgelegt. Das Vorliegen eines klagbaren Anspruchs hilfsbedürftiger AsylwerberInnen auf Grundversorgung und Betreuung wurde auch durch den Beschluß des OGH 1OB272/02k vom 24. Februar 2003 festgestellt und sollte daher Eingang in die gegenständliche Vereinbarung finden. Die Verneinung eines Rechtsanspruch gem. Art 1(5) würde die derzeit bestehende Rechtsunsicherheit prolongieren. Weiters steht Art 1(5) in Widerspruch zu den in Art. 1 genannten Zielsetzungen der Vereinbarung. In Art. 1(1) wird unter anderem Rechtssicherheit für die betroffenen Fremden als Ziel der Vereinbarung genannt.


Zuständigkeit des Jugendwohlfahrtsträgers

Die Arbeitsgruppe Menschenrechte für Kinderflüchtlinge hat grundsätzliche Bedenken bezüglich der Vereinbarkeit der 15a BV-G Vereinbarung mit der geltenden Gesetzeslage. Das Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) verpflichtet den Jugendwohlfahrtsträger, das Wohl von unbegleiteten Flüchtlinge sicherzustellen. §3 des JWG definiert den Anwendungsbereich:
§3. Öffentliche Jugendwohlfahrt ist allen Personen zu gewähren, die ihren Aufenthalt im Inland haben; österreichischen Staatsbürgern und Staatenlosen jedenfalls, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben.
Trotz der aus dem Gesetztestext unzweifelhaft ableitbaren Verantwortung der Jugendwohlfahrtsträger gegenüber allen unbegleiteten Jugendlichen, übernehmen diese in der Praxis nicht oder nur teilweise die daraus abzuleitenden Verpflichtungen. Die Argumentation der Länder, daß primär der Bund für die Unterbringung von AsylwerbernInnen zu sorgen hat, entläßt die Länder jedoch nicht aus ihrer gesetzlich festgelegten Verantwortung UMF gegenüber. Dies bestätigt auch das im Jänner 2001 vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte erstellte Gutachten (http://www.asyl.at/umf/unterbringung/gutachten_bmi.doc). Dem Gutachten zufolge hat der örtlich zuständige Jugendwohlfahrtsträger die Übertragung der Obsorge für jeden UMF bei Gericht zu beantragen und sofort für eine altersgerechte Unterkunft und Betreuung zu sorgen. Die 15a BV-G Vereinbarung teilt nun die Zuständigkeit für die Unterbringung und Betreuung von UMF zwischen dem Bund und den Ländern auf, ohne allerdings die aus dem Jugenwohlfahrtsgesetz ableitbare Alleinverantwortung der Länder zu berücksichtigen. Ohne zusätzlicher Klarstellungen kommt es so zu einer Kollision der Verordnung mit dem JWG. Es sollte daher in der Vereinbarung hervorgehoben werden, dass der örtlich zuständige Jugendwohlfahrtsträger, wie im JWG vorgesehen, für das Wohl des UMF zu sorgen hat. Zur Erfüllung dieser Aufgabe kann er sich, der in der Vereinbarung genannten Einrichtungen bedienen.




Diese Stellungnahme wird getragen von:

Asyl in Not, asylkoordination Österreich, Caritas Wien, Caritas der Diözese Graz-Seckau - Projekt Welcome, Deserteurs- und Flüchtlingsberatung, DOWAS - Chill Out, Kinder- und Jugendanwaltschaft Steiermark, Kinder- und Jugendanwalt Tirol, Diakonie Österreich, Die Bunten, Kinderstimme, SOS - Menschenrechte Österreich, SOS Kinderdorf Clearinghaus Salzburg, Verein Projekt Integrationshaus, Verein Zebra Graz, Volkshilfe Oberösterreich, WUK - Werkstätten und Kulturhaus