Asylverfahren

Analyse der VfGH Erkenntnis vom Herbst 2004 [18.01.2005]
Die wichtigsten Teile des Verfassungsgerichtshofsurteils sind bekannt. Wir liefern im Folgenden eine Analyse der 253 Seiten der VfGH Erkenntnis von Anny Knapp.
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In der Geschichte des Verfasungsgerichtshofes (VfGH) sei die Entscheidung zum Asylgesetz 2003 eine herausragende, betonte Präsident Korinek nach Verkündung des Urteils, denn die Anfechtung so vieler Bestimmungen eines Gesetzes sei ohne Beispiel. Dementsprechend umfangreich ist auch das Erkenntnis. Auf 253 Seiten stellt das Gericht die angefochtenen Bestimmungen und die Begründungen für seine Entscheidungen dar.

Gleich drei Beschwerdeführer haben noch vor In-Kraft-Treten der Asylgesetznovelle 2003 Gesetzesprüfungsanträge eingebracht - die Oberösterreichische und die Wiener Landesregierung sowie ein Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenats - und damit ein rasches Ende der in der Gesetzesbegutachtung am heftigsten kritisierten Bestimmungen bewirkt. In etlichen Beschwerdepunkten erfolgte zwar keine Aufhebung wegen Verfassungswidrigkeit, das Gericht stellte jedoch klar, dass auch diese verfassungskonform angewendet werden müssen.

Neuerungsverbot ja, aber
Abweichend von den Allgemeinen Verwaltungsverfahren, in denen das Einbringen neuer Beweise im Berufungsverfahren möglich ist, sollte das im Asylverfahren nur dann zulässig sein, wenn Hinweise auf eine Traumatisierung des Flüchtlings vorliegen oder bei Mängeln im erstinstanzlichen Verfahren. Der VfGH vertritt die Ansicht, dass Beschränkungen im Berufungsverfahren nicht im Widerspruch zum Grundsatz eines effektiven Rechtsschutzes stehen, wenn der/die AsylwerberIn tatsächlich die Möglichkeit hat, im erstinstanzlichen Verfahren zu einer raschen Ermittlung des Sachverhalts beizutragen. AsylwerberInnen werden aber unmittelbar nach ihrer Einreise einvernommen, also zu einem Zeitpunkt, in dem sie sich in der Regel in einem physischen und psychischen Ausnahmezustand befinden.
Zu berücksichtigen sei auch, dass AsylwerberInnen meist die deutsche Sprache nicht verstehen. Sie sind also auf eine korrekte Übersetzung angewiesen, die sie aber im Augenblick nicht überprüfen lassen können. Die Ursache für ein neues Vorbringen in der zweiten Instanz kann durchaus sein, dass ein Vorbringen in der ersten Instanz unkorrekt oder unvollständig übersetzt oder protokolliert wurde. Auch bei Verständigung über eine Drittsprache oder anderen Missverständnissen in der Kommunikation zwischen AsylwerberInnen und der Behörde könnte es zu aus dem Akt alleine nicht erkennbaren Fehlentscheidungen kommen, die massive Menschenrechtsverletzungen zur Folge haben könnten.
Weil das Asylgesetz diesen Umstand jedoch nur im Zusammenhang mit einer medizinisch belegbaren Traumatisierung berücksichtigt und die psychische und physische Ausnahmesituation nur unzureichend erfasst, liegt eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips (Überprüfung der Entscheidung durch ein Gericht) vor.

Kein genereller Ausschluss der aufschiebenden Wirkung
Entscheidungen, dass ein anderer EU-Staat aufgrund EU-Rechtes für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, sollten nach Willen des Gesetzgebers sofort nach der Entscheidung erster Instanz vollzogen werden, d.h. AsylwerberInnen in den zuständigen Staat zurückgeschoben werden, selbst wenn sie diese Entscheidungen beeinspruchen.
Da das Asylgesetz keine Möglichkeit einer Berücksichtigung von Abschiebungshindernissen vorsieht, z. B. auch nicht bei kranken Asylsuchenden oder Schwangeren, und ein Berufungsverfahren vom Ausland aus nicht betrieben werden kann, sah der Verfassungsgerichthof das Rechtsstaatprinzip verletzt. "Der ausnahmslose Ausschluss der aufschiebenden Wirkung würde selbst in jenen besonderen Fällen eine Interessenabwägung zu Gunsten des Asylwerbers unmöglich machen und damit den Berufungswerber in verfassungsrechtlich verbotener Weise einseitig mit den Folgen einer potentiell unrichtigen Entscheidung belasten."
Der VfGH hat jedoch nicht die fehlende aufschiebende Wirkung einer Berufung gegen die zurückweisende Entscheidung an sich, sondern lediglich die mit dieser verbundene Ausweisung als problematisch angesehen. Bis zu einer Neuregelung ist die aufschiebende Wirkung einer Berufung gemäß dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz prinzipiell wirksam.
Dem Bundesasylamt steht es nunmehr frei, bei jeder Ausweisung die aufschiebende Wirkung abzuerkennen, muss dabei aber begründen, warum die öffentlichen Interessen an einer sofortigen Beendigung des Aufenthalts schwerer wiegen, als jene des Asylwerbers am Verbleib in Österreich während des Berufungsverfahrens. Der VfGH betont, so wie bei einigen anderen angefochtenen Bestimmungen, das legitime Interesse des Gesetzgebers, Mißbrauch entgegenzuwirken, es dürften dabei nur nicht alle unter die Räder kommen.
Durch diese Entscheidung des VfGH besteht nun die Möglichkeit, dass der UBAS in Berufungsverfahren auch die Frage aufgreift, wieweit die neuen EU-Mitgliedsstaaten ausreichend vor Weiter- oder Abschiebung in Länder schützen, in denen Verfolgung oder andere Menschenrechtsverletzungen drohen. Seit In-Kraft-Treten der Asylnovelle hat der UBAS nur dann sog. Dublin-Bescheide behoben, wenn die Ausnahmebestimmung für traumatisierte Flüchtlinge oder Folteropfer nicht eingehalten wurde. Einige Verfahren wurden auch eingestellt oder die Berufung abgewiesen, weil der Asylwerber bereits zurückgeschoben wurde und somit im Verfahren nicht mehr mitwirken konnte.

Schubhaft
Das bloße Stellen eines Folgeantrags genügt nach dem Gesetzeswortlaut bereits, von einem missbräuchlichen Antrag auszugehen und ermöglicht die Inhaftierung.
Da das AsylG nicht zwischen evident unzulässigen Folgeanträgen und solchen unterscheidet, die ein Asylwerber auf Grund der Änderung der Sach- oder Rechtslage mit Erfolgsaussichten stellt, ist das wiederum festgestellte berechtigte Anliegen des Gesetzgebers, Missbräuchen in Form wiederholter Antragstellung entgegenzuwirken, nach Ansicht des VfGH überschießend. Diese Bestimmung wird erst mit 30. Juni 2005 aufgehoben, ist aber trotzdem nicht mehr anzuwenden.
Weniger Anstoß erregte hingegen der vorgeschriebene Aufenthalt in der Erstaufnahmestelle. Hier folgte der VfGH der Argumentation des BMI, dass der Asylwerber nur für eine ihm rechtzeitig bekannt gegebene angemessene Zeitspanne, etwa für eine Einvernahme oder ärztliche Untersuchung u.dgl., persönlich benötigt wird, der zwangsweise Aufenthalt in der Erstaufnahmestelle sich somit auf Fälle der Mitwirkung am Verfahren beschränkt. Eine Verhängung der Schubhaft wäre demnach nur nach Abwägung aller Umstände möglich. Dabei müsste erkennbar sein, dass der Asylwerber durch die Nichtmitwirkung eine mögliche Ausweisung verhindern oder verzögern will.

Liste sicherer Drittstaaten
Die per Gesetz oder durch die EU vorgegebene Liste sicherer Drittstaaten sorgt seit geraumer Zeit für Besorgnis, weil nicht nur fraglich ist, aufgrund welcher Befunde Staaten für sicher erklärt werden. Sichere Drittstaaten sind auch ein Konzept, Flüchtlinge aus dem Raum der EU zu verbannen. Drittstaatenregelungen gibt es im österreichischen Asylgesetz seit 1992, ab 1998 müssen solche Staaten jedoch den Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nachkommen.
Die Liste sicherer Drittstaaten - Schweiz und Liechtenstein - wäre nach Ansicht des VfGH nur dann bedenklich, wenn Staaten enthalten wären, die diesen Verpflichtungen nicht entsprechen. Bestehen dennoch Bedenken, so ist die Behörde verpflichtet, dies zu berücksichtigen.
Ausgenommen von der Drittstaatsklausel sind Eltern minderjähriger, unverheirateter AsylwerberInnen oder der Ehepartner oder minderjährige Kinder des Asylwerbers, wenn ihnen in Österreich Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt wurde. Dieser Familienbegriff widerspricht jedoch EU-Recht. Der VfGH hebt diese Bestimmung nicht auf, sondern sieht die Möglichkeit der verfassungskonformen Gesetzesinterpretation, indem bei anderen Familienangehörigen eine Prüfung des Vorhandenseins eines Familienlebens im Einzelfall erfolgen muss.

Offensichtlich unbegründete Anträge
Klargestellt wurde durch den VfGH, dass für die Abweisung eines offensichtlich unbegründeten Antrags keine besondere Verfahrensart vorgesehen ist und jedenfalls ein zulässiger Antrag vorliegt.
Der Unterschied zu einem "einfach" unbegründeten Antrag liegt in den Rechtsfolgen. Die aufschiebende Wirkung der Berufung ist nicht automatisch gegeben, sondern muss vom UBAS zuerkannt werden. Eine der Voraussetzungen, einen Antrag als offensichtlich unbegründet abzuweisen, ist die Herkunft aus einem sicheren Herkunftsstaat. Dazu zählen alle EU-Staaten sowie Australien, Island, Kanada, Liechtenstein, Neuseeland, Norwegen und die Schweiz. Eine solche Liste, die nach einer Beurteilung der Sicherheit durch den Gesetzgeber erstellt wird, diene der Vereinfachung des Verfahrens, so der VfGH. Auf die fehlende Transparenz dieser "Vorbeurteilungen" ging der VfGH nicht ein, sondern meinte, dass die Beschwerdeführer eine fehlende Sicherheit nicht ausreichend darstellen konnten. Insbesondere bei den neuen EU-Mitgliedsstaaten wäre die Regelvermutung zu entkräften, wenn der Asylwerber begründete Hinweise auf eine Verfolgungsgefahr vorbringt. Der Widerspruch zur Genfer Flüchtlingskonvention, die keine sicheren Herkunftsstaaten kennt, ist für den VfGH deswegen nicht relevant, weil die GFK nicht Teil des österreichischen Verfassungsrechtes ist.

Durchsuchung zur Sicherstellung von Beweismitteln
Der VfGH hat einerseits das Bestehen des öffentlichen Interessen an einer raschen Ermittlung des Sachverhaltes und somit an der Verfügbarkeit über die zur Entscheidung relevanten Beweismittel bestätigt und hält somit die Durchsuchung von Kleidung und Gepäckstücken für legitim. Aber eben nicht generell ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, wie von den Sicherheitsbehörden praktiziert.
Ein solcher Grundrechtseingriff durch Durchsuchung kann nur dann als verhältnismäßig angesehen werden, wenn die Identität und die Berechtigung zum Aufenthalt anders nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand feststellbar wäre. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn der Betroffene nicht kooperativ an der Sachverhaltsfeststellung mitwirkt oder erhebliche Zweifel an seinem Vorbringen bestehen, die durch die Durchsuchung ausgeräumt werden können. Wenn der Asylwerber durch Vorlage entsprechender Dokumente und Gegenstände an der Sachverhaltsdarstellung mitwirkt, wäre eine Durchsuchung nicht mehr zulässig, lautet die Anleitung des VfGH zur Anwendung dieser Bestimmung.
Einige weitere bekämpfte Bestimmungen wurden als unbedenklich angesehen. So erblickte der VfGH keine Verletzung des Rechtsschutzes in der 24-Stunden-Frist zwischen erster und zweiter Einvernahme in der EAST, da es erstens eine Mindestfrist sei, die dem Asylwerber zur Vorbereitung einer Stellungnahme eingeräumt werde. Zweitens sei die Angemessenheit der Frist im Einzelfall zu beurteilen und nicht nur von der Kompliziertheit der Rechtsfrage, sondern auch von den individuellen Sprachschwierigkeiten, der Verfügbarkeit der Rechtsberater und Übersetzer, dem Wunsch nach Beischaffung weiterer Beweismittel oder der Beiziehung von Anwälten oder anderen Experten abhängig. Die ausführliche Darlegung der zu berücksichtigenden Umstände sind wiederum als Anleitung an die Behörden zu verstehen.
Die vom AVG abweichende Regelung, wonach ein Asylantrag nicht mehr zurückgezogen werden kann, sondern in jedem Fall eine Entscheidung zu treffen ist, wurde vom VfGH mit der Begründung bestätigt, dass damit Missbräuchen vorgebeugt werden kann. Solche würden sich ergeben, indem bei vorhersehbarem negativen Ausgang der Antrag zurückgezogen und wieder ein neuer Antrag gestellt werde, wodurch ein faktischer Abschiebungsschutz entsteht. Die Beurteilung der Umstände im Einzelfall wurde bei dieser Bestimmung nicht in Erwägung gezogen.
In der Abschaffung der Asylantragsstellung bei einer Botschaft erblickte der VfGH kein Problem, weil ja nicht ausgeschlossen sei, dass ein Flüchtling ein Einreisevisum erhalten könne.
Der Antrag des UBAS, dass ihm nur die Kompetenz zur Entscheidung über Asylangelegenheiten, nicht jedoch zur fremdenrechtlichen "Ausweisung", die im Falle einer negativen Entscheidung auszusprechen sei, zukomme, wurde ohne die Frage zu behandeln abgewiesen, weil der Antrag zu weitgehend formuliert war.

Resümee
Aus dem Erkenntnis geht klar hervor, dass der Verfassungsgerichtshof die Bestrebungen des Gesetzgebers, Missbräuche zu unterbinden, weitgehend unterstützt. Durch die Berechtigung bzw. Duldung des Aufenthalts während des Asylverfahrens ergeben sich Vorteile, die bei Vorwiegen der öffentlichen Interessen eingeschränkt werden können, wie etwa die aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels, die nunmehr im Einzelfall zugesprochen werden kann. Für die ohnedies überlastete Berufungsbehörde zeichnet sich keine Entlastung ab, weil die erste Instanz vermutlich bei Dublin-Fällen die aufschiebende Wirkung aberkennen wird. Auch beim Neuerungsverbot hat der UBAS nun mehr Umstände zu berücksichtigen, anstatt sich auf die Frage der Flüchtlingseigenschaft oder anderer Schutzgründe konzentrieren zu können.
Die problematischen Bestimmungen, die der VfGH als verfassungskonform interpretierbar und anwendbar angesehen hat, sind nicht vom Tisch, sondern werden vermutlich die Gerichte in Zukunft weiter beschäftigen. Den unverfrorenen Versuch, den Rechtsschutz einzuschränken, erteilte der VfGH jedenfalls eine klare Abfuhr. Beim Innenministerium dürfte die Botschaft nicht richtig angekommen sein. Zwar gestand Strasser widerwillig ein, dass Entscheidungen des Gerichts zu akzeptieren seien, das hinderte ihn jedoch nicht, weitere Verschärfungen des Asylgesetzes vorzubereiten. Sein Rezept, mit dem Asylsuchende abgeschreckt werden sollen: noch mehr Ermächtigungen, Schubhaft zu verhängen, die Abschaffung des UBAS, die Einschränkung des Rechtsschutzes, indem der Zugang zu den Höchstgerichten entfällt. Ein rasches Verfahren und Abschiebung der Flüchtlinge, auch auf Kosten der Rechtsstaatlichkeit, wird von Strasser mit penetranter Sturheit verfolgt, ob sich unter seinem Nachfolger daran erwas ändern wird, ist mehr als fraglich. Muss sich aber eine Regierung, die wider besseres Wissen verfassungswidrige Gesetze erlässt, nicht auch den Vorwurf des Mißbrauchs gefallen lassen?




Anny Knapp, asylkoordination Österreich