In der Geschichte des Verfasungsgerichtshofes (VfGH) sei die
Entscheidung zum Asylgesetz 2003 eine herausragende, betonte
Präsident Korinek nach Verkündung des Urteils, denn
die Anfechtung so vieler Bestimmungen eines Gesetzes sei ohne
Beispiel. Dementsprechend umfangreich ist auch das Erkenntnis.
Auf 253 Seiten stellt das Gericht die angefochtenen Bestimmungen
und die Begründungen für seine Entscheidungen dar.
Gleich drei Beschwerdeführer haben noch vor In-Kraft-Treten
der Asylgesetznovelle 2003 Gesetzesprüfungsanträge
eingebracht - die Oberösterreichische und die Wiener Landesregierung
sowie ein Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenats -
und damit ein rasches Ende der in der Gesetzesbegutachtung am
heftigsten kritisierten Bestimmungen bewirkt. In etlichen Beschwerdepunkten
erfolgte zwar keine Aufhebung wegen Verfassungswidrigkeit, das
Gericht stellte jedoch klar, dass auch diese verfassungskonform
angewendet werden müssen.
Neuerungsverbot ja, aber
Abweichend von den Allgemeinen Verwaltungsverfahren, in denen
das Einbringen neuer Beweise im Berufungsverfahren möglich
ist, sollte das im Asylverfahren nur dann zulässig sein,
wenn Hinweise auf eine Traumatisierung des Flüchtlings
vorliegen oder bei Mängeln im erstinstanzlichen Verfahren.
Der VfGH vertritt die Ansicht, dass Beschränkungen im
Berufungsverfahren nicht im Widerspruch zum Grundsatz eines
effektiven Rechtsschutzes stehen, wenn der/die AsylwerberIn
tatsächlich die Möglichkeit hat, im erstinstanzlichen
Verfahren zu einer raschen Ermittlung des Sachverhalts beizutragen.
AsylwerberInnen werden aber unmittelbar nach ihrer Einreise
einvernommen, also zu einem Zeitpunkt, in dem sie sich in
der Regel in einem physischen und psychischen Ausnahmezustand
befinden.
Zu berücksichtigen sei auch, dass AsylwerberInnen meist
die deutsche Sprache nicht verstehen. Sie sind also auf eine
korrekte Übersetzung angewiesen, die sie aber im Augenblick
nicht überprüfen lassen können. Die Ursache
für ein neues Vorbringen in der zweiten Instanz kann
durchaus sein, dass ein Vorbringen in der ersten Instanz unkorrekt
oder unvollständig übersetzt oder protokolliert
wurde. Auch bei Verständigung über eine Drittsprache
oder anderen Missverständnissen in der Kommunikation
zwischen AsylwerberInnen und der Behörde könnte
es zu aus dem Akt alleine nicht erkennbaren Fehlentscheidungen
kommen, die massive Menschenrechtsverletzungen zur Folge haben
könnten.
Weil das Asylgesetz diesen Umstand jedoch nur im Zusammenhang
mit einer medizinisch belegbaren Traumatisierung berücksichtigt
und die psychische und physische Ausnahmesituation nur unzureichend
erfasst, liegt eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips (Überprüfung
der Entscheidung durch ein Gericht) vor.
Kein genereller Ausschluss der aufschiebenden Wirkung
Entscheidungen, dass ein anderer EU-Staat aufgrund EU-Rechtes
für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist,
sollten nach Willen des Gesetzgebers sofort nach der Entscheidung
erster Instanz vollzogen werden, d.h. AsylwerberInnen in den
zuständigen Staat zurückgeschoben werden, selbst
wenn sie diese Entscheidungen beeinspruchen.
Da das Asylgesetz keine Möglichkeit einer Berücksichtigung
von Abschiebungshindernissen vorsieht, z. B. auch nicht bei
kranken Asylsuchenden oder Schwangeren, und ein Berufungsverfahren
vom Ausland aus nicht betrieben werden kann, sah der Verfassungsgerichthof
das Rechtsstaatprinzip verletzt. "Der ausnahmslose Ausschluss
der aufschiebenden Wirkung würde selbst in jenen besonderen
Fällen eine Interessenabwägung zu Gunsten des Asylwerbers
unmöglich machen und damit den Berufungswerber in verfassungsrechtlich
verbotener Weise einseitig mit den Folgen einer potentiell
unrichtigen Entscheidung belasten."
Der VfGH hat jedoch nicht die fehlende aufschiebende Wirkung
einer Berufung gegen die zurückweisende Entscheidung
an sich, sondern lediglich die mit dieser verbundene Ausweisung
als problematisch angesehen. Bis zu einer Neuregelung ist
die aufschiebende Wirkung einer Berufung gemäß
dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz prinzipiell wirksam.
Dem Bundesasylamt steht es nunmehr frei, bei jeder Ausweisung
die aufschiebende Wirkung abzuerkennen, muss dabei aber begründen,
warum die öffentlichen Interessen an einer sofortigen
Beendigung des Aufenthalts schwerer wiegen, als jene des Asylwerbers
am Verbleib in Österreich während des Berufungsverfahrens.
Der VfGH betont, so wie bei einigen anderen angefochtenen
Bestimmungen, das legitime Interesse des Gesetzgebers, Mißbrauch
entgegenzuwirken, es dürften dabei nur nicht alle unter
die Räder kommen.
Durch diese Entscheidung des VfGH besteht nun die Möglichkeit,
dass der UBAS in Berufungsverfahren auch die Frage aufgreift,
wieweit die neuen EU-Mitgliedsstaaten ausreichend vor Weiter-
oder Abschiebung in Länder schützen, in denen Verfolgung
oder andere Menschenrechtsverletzungen drohen. Seit In-Kraft-Treten
der Asylnovelle hat der UBAS nur dann sog. Dublin-Bescheide
behoben, wenn die Ausnahmebestimmung für traumatisierte
Flüchtlinge oder Folteropfer nicht eingehalten wurde.
Einige Verfahren wurden auch eingestellt oder die Berufung
abgewiesen, weil der Asylwerber bereits zurückgeschoben
wurde und somit im Verfahren nicht mehr mitwirken konnte.
Schubhaft
Das bloße Stellen eines Folgeantrags genügt nach
dem Gesetzeswortlaut bereits, von einem missbräuchlichen
Antrag auszugehen und ermöglicht die Inhaftierung.
Da das AsylG nicht zwischen evident unzulässigen Folgeanträgen
und solchen unterscheidet, die ein Asylwerber auf Grund der
Änderung der Sach- oder Rechtslage mit Erfolgsaussichten
stellt, ist das wiederum festgestellte berechtigte Anliegen
des Gesetzgebers, Missbräuchen in Form wiederholter Antragstellung
entgegenzuwirken, nach Ansicht des VfGH überschießend.
Diese Bestimmung wird erst mit 30. Juni 2005 aufgehoben, ist
aber trotzdem nicht mehr anzuwenden.
Weniger Anstoß erregte hingegen der vorgeschriebene
Aufenthalt in der Erstaufnahmestelle. Hier folgte der VfGH
der Argumentation des BMI, dass der Asylwerber nur für
eine ihm rechtzeitig bekannt gegebene angemessene Zeitspanne,
etwa für eine Einvernahme oder ärztliche Untersuchung
u.dgl., persönlich benötigt wird, der zwangsweise
Aufenthalt in der Erstaufnahmestelle sich somit auf Fälle
der Mitwirkung am Verfahren beschränkt. Eine Verhängung
der Schubhaft wäre demnach nur nach Abwägung aller
Umstände möglich. Dabei müsste erkennbar sein,
dass der Asylwerber durch die Nichtmitwirkung eine mögliche
Ausweisung verhindern oder verzögern will.
Liste sicherer Drittstaaten
Die per Gesetz oder durch die EU vorgegebene Liste sicherer
Drittstaaten sorgt seit geraumer Zeit für Besorgnis,
weil nicht nur fraglich ist, aufgrund welcher Befunde Staaten
für sicher erklärt werden. Sichere Drittstaaten
sind auch ein Konzept, Flüchtlinge aus dem Raum der EU
zu verbannen. Drittstaatenregelungen gibt es im österreichischen
Asylgesetz seit 1992, ab 1998 müssen solche Staaten jedoch
den Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention
und der Europäischen Menschenrechtskonvention nachkommen.
Die Liste sicherer Drittstaaten - Schweiz und Liechtenstein
- wäre nach Ansicht des VfGH nur dann bedenklich, wenn
Staaten enthalten wären, die diesen Verpflichtungen nicht
entsprechen. Bestehen dennoch Bedenken, so ist die Behörde
verpflichtet, dies zu berücksichtigen.
Ausgenommen von der Drittstaatsklausel sind Eltern minderjähriger,
unverheirateter AsylwerberInnen oder der Ehepartner oder minderjährige
Kinder des Asylwerbers, wenn ihnen in Österreich Asyl
oder subsidiärer Schutz gewährt wurde. Dieser Familienbegriff
widerspricht jedoch EU-Recht. Der VfGH hebt diese Bestimmung
nicht auf, sondern sieht die Möglichkeit der verfassungskonformen
Gesetzesinterpretation, indem bei anderen Familienangehörigen
eine Prüfung des Vorhandenseins eines Familienlebens
im Einzelfall erfolgen muss.
Offensichtlich unbegründete Anträge
Klargestellt wurde durch den VfGH, dass für die Abweisung
eines offensichtlich unbegründeten Antrags keine besondere
Verfahrensart vorgesehen ist und jedenfalls ein zulässiger
Antrag vorliegt.
Der Unterschied zu einem "einfach" unbegründeten
Antrag liegt in den Rechtsfolgen. Die aufschiebende Wirkung
der Berufung ist nicht automatisch gegeben, sondern muss vom
UBAS zuerkannt werden. Eine der Voraussetzungen, einen Antrag
als offensichtlich unbegründet abzuweisen, ist die Herkunft
aus einem sicheren Herkunftsstaat. Dazu zählen alle EU-Staaten
sowie Australien, Island, Kanada, Liechtenstein, Neuseeland,
Norwegen und die Schweiz. Eine solche Liste, die nach einer
Beurteilung der Sicherheit durch den Gesetzgeber erstellt
wird, diene der Vereinfachung des Verfahrens, so der VfGH.
Auf die fehlende Transparenz dieser "Vorbeurteilungen"
ging der VfGH nicht ein, sondern meinte, dass die Beschwerdeführer
eine fehlende Sicherheit nicht ausreichend darstellen konnten.
Insbesondere bei den neuen EU-Mitgliedsstaaten wäre die
Regelvermutung zu entkräften, wenn der Asylwerber begründete
Hinweise auf eine Verfolgungsgefahr vorbringt. Der Widerspruch
zur Genfer Flüchtlingskonvention, die keine sicheren
Herkunftsstaaten kennt, ist für den VfGH deswegen nicht
relevant, weil die GFK nicht Teil des österreichischen
Verfassungsrechtes ist.
Durchsuchung zur Sicherstellung von Beweismitteln
Der VfGH hat einerseits das Bestehen des öffentlichen
Interessen an einer raschen Ermittlung des Sachverhaltes und
somit an der Verfügbarkeit über die zur Entscheidung
relevanten Beweismittel bestätigt und hält somit
die Durchsuchung von Kleidung und Gepäckstücken
für legitim. Aber eben nicht generell ohne Berücksichtigung
der Umstände des Einzelfalls, wie von den Sicherheitsbehörden
praktiziert.
Ein solcher Grundrechtseingriff durch Durchsuchung kann nur
dann als verhältnismäßig angesehen werden,
wenn die Identität und die Berechtigung zum Aufenthalt
anders nicht oder nur mit unverhältnismäßigem
Aufwand feststellbar wäre. Dies wäre beispielsweise
dann der Fall, wenn der Betroffene nicht kooperativ an der
Sachverhaltsfeststellung mitwirkt oder erhebliche Zweifel
an seinem Vorbringen bestehen, die durch die Durchsuchung
ausgeräumt werden können. Wenn der Asylwerber durch
Vorlage entsprechender Dokumente und Gegenstände an der
Sachverhaltsdarstellung mitwirkt, wäre eine Durchsuchung
nicht mehr zulässig, lautet die Anleitung des VfGH zur
Anwendung dieser Bestimmung.
Einige weitere bekämpfte Bestimmungen wurden als unbedenklich
angesehen. So erblickte der VfGH keine Verletzung des Rechtsschutzes
in der 24-Stunden-Frist zwischen erster und zweiter Einvernahme
in der EAST, da es erstens eine Mindestfrist sei, die dem
Asylwerber zur Vorbereitung einer Stellungnahme eingeräumt
werde. Zweitens sei die Angemessenheit der Frist im Einzelfall
zu beurteilen und nicht nur von der Kompliziertheit der Rechtsfrage,
sondern auch von den individuellen Sprachschwierigkeiten,
der Verfügbarkeit der Rechtsberater und Übersetzer,
dem Wunsch nach Beischaffung weiterer Beweismittel oder der
Beiziehung von Anwälten oder anderen Experten abhängig.
Die ausführliche Darlegung der zu berücksichtigenden
Umstände sind wiederum als Anleitung an die Behörden
zu verstehen.
Die vom AVG abweichende Regelung, wonach ein Asylantrag nicht
mehr zurückgezogen werden kann, sondern in jedem Fall
eine Entscheidung zu treffen ist, wurde vom VfGH mit der Begründung
bestätigt, dass damit Missbräuchen vorgebeugt werden
kann. Solche würden sich ergeben, indem bei vorhersehbarem
negativen Ausgang der Antrag zurückgezogen und wieder
ein neuer Antrag gestellt werde, wodurch ein faktischer Abschiebungsschutz
entsteht. Die Beurteilung der Umstände im Einzelfall
wurde bei dieser Bestimmung nicht in Erwägung gezogen.
In der Abschaffung der Asylantragsstellung bei einer Botschaft
erblickte der VfGH kein Problem, weil ja nicht ausgeschlossen
sei, dass ein Flüchtling ein Einreisevisum erhalten könne.
Der Antrag des UBAS, dass ihm nur die Kompetenz zur Entscheidung
über Asylangelegenheiten, nicht jedoch zur fremdenrechtlichen
"Ausweisung", die im Falle einer negativen Entscheidung
auszusprechen sei, zukomme, wurde ohne die Frage zu behandeln
abgewiesen, weil der Antrag zu weitgehend formuliert war.
Resümee
Aus dem Erkenntnis geht klar hervor, dass der Verfassungsgerichtshof
die Bestrebungen des Gesetzgebers, Missbräuche zu unterbinden,
weitgehend unterstützt. Durch die Berechtigung bzw. Duldung
des Aufenthalts während des Asylverfahrens ergeben sich
Vorteile, die bei Vorwiegen der öffentlichen Interessen
eingeschränkt werden können, wie etwa die aufschiebende
Wirkung eines Rechtsmittels, die nunmehr im Einzelfall zugesprochen
werden kann. Für die ohnedies überlastete Berufungsbehörde
zeichnet sich keine Entlastung ab, weil die erste Instanz
vermutlich bei Dublin-Fällen die aufschiebende Wirkung
aberkennen wird. Auch beim Neuerungsverbot hat der UBAS nun
mehr Umstände zu berücksichtigen, anstatt sich auf
die Frage der Flüchtlingseigenschaft oder anderer Schutzgründe
konzentrieren zu können.
Die problematischen Bestimmungen, die der VfGH als verfassungskonform
interpretierbar und anwendbar angesehen hat, sind nicht vom
Tisch, sondern werden vermutlich die Gerichte in Zukunft weiter
beschäftigen. Den unverfrorenen Versuch, den Rechtsschutz
einzuschränken, erteilte der VfGH jedenfalls eine klare
Abfuhr. Beim Innenministerium dürfte die Botschaft nicht
richtig angekommen sein. Zwar gestand Strasser widerwillig
ein, dass Entscheidungen des Gerichts zu akzeptieren seien,
das hinderte ihn jedoch nicht, weitere Verschärfungen
des Asylgesetzes vorzubereiten. Sein Rezept, mit dem Asylsuchende
abgeschreckt werden sollen: noch mehr Ermächtigungen,
Schubhaft zu verhängen, die Abschaffung des UBAS, die
Einschränkung des Rechtsschutzes, indem der Zugang zu
den Höchstgerichten entfällt. Ein rasches Verfahren
und Abschiebung der Flüchtlinge, auch auf Kosten der
Rechtsstaatlichkeit, wird von Strasser mit penetranter Sturheit
verfolgt, ob sich unter seinem Nachfolger daran erwas ändern
wird, ist mehr als fraglich. Muss sich aber eine Regierung,
die wider besseres Wissen verfassungswidrige Gesetze erlässt,
nicht auch den Vorwurf des Mißbrauchs gefallen lassen?
Anny Knapp, asylkoordination Österreich
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