Abschiebung nach Kabul trotz Chaos und bevorstehender neuer Fluchtbewegung
(asylkoordination 17. Mai 2021) „Die afghanischen Communitys befinden sich in einem Zustand höchster Anspannung“, berichtet asylkoordinations-Experte Herbert Langthaler. „Besonders der jüngste Anschlag in Kabul auf die Mädchenschule im mehrheitlich von Schiiten bewohnten Stadtteil Dascht-e Bartschi lässt Erinnerungen an die dunklen Jahre zwischen 1996 und 2001 aufkommen.“ Viele der in Österreich lebenden afghanischen Flüchtlinge haben Verwandte in genau diesem Teil der Hauptstadt.
Besonders Angehörige der schiitischen Minderheiten (viele von ihnen ethnische Hazara) berichten von Familienmitgliedern und Freunden, die jetzt dabei sind, ihre Koffer zu packen. „Ob der Anschlag von den Taliban oder dem ISKP (IS-Khorasan-Provinz) verübt wurde, ist letztlich unerheblich, so oder so fürchten gerade die Hazara jetzt wieder um ihr Leben,“ schätzt Langthaler die Lage ein und verweist auf die Massaker, die von den Taliban während ihrer Herrschaft an der Minderheit verübt wurden.
 
Sofortiger Abschiebungsstopp
„In einer solchen Situation an der für Dienstag geplanten Charter-Abschiebung nach Kabul festzuhalten, grenzt an Realitätsverweigerung,“ zeigt sich asylkoordination-Sprecher Lukas Gahleitner-Gertz entsetzt. Der asylkoordination ist bekannt, dass einigen Geflüchteten das Abschiebedatum kommende Woche von den Behörden per Bescheid mitgeteilt wurde. Am Wochenende kam es in mehreren Bundesländern zu Festnahmen. „Unsere Forderung nach einem Stopp jeglicher Abschiebungen nach Afghanistan ist aktueller und dringender denn je: Aufgrund des beabsichtigten Abzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan in den nächsten Wochen rechnet sogar die deutsche Bundesregierung mit einer erheblichen Verschlechterung der Sicherheitslage.“ Statt Geld und Energie in sinnlose Abschiebungen, die Menschenleben gefährden, zu vergeuden, wäre es höchste Zeit, sich auf die Evakuierung besonders gefährdeter Personen zu konzentrieren.
 
Evakuierung afghanischer Mitarbeiter*innen
Besonders gefährdet sind jene Afghanen, die unmittelbar mit oder für die jetzt abziehenden westlichen Militärs und Sicherheitskräfte gearbeitet haben. „Auch 14 Österreicher waren zuletzt noch vor Ort im Einsatz. Wir fordern, dass zumindest ihre afghanischen Mitarbeiter*innen – wie Dolmetscher und Chauffeure – und ihre Familien direkt nach Österreich gebracht werden,“ so die asylkoordination österreich. Es ist aber auch damit zu rechnen, dass auch aus Europa abgeschobene Personen als Kollaborateure des Westens von den Taliban verfolgt werden. Mit der sich abzeichnenden (zumindest teilweisen) Machtübernahme der Taliban verlieren vor allem gebildete Frauen und alle Menschen, die in den vergangenen zwanzig Jahren westlich geprägte Bildungssysteme durchlaufen haben, ihre Lebensgrundlage. „Der Westen ist mit seiner Interventionspolitik gescheitert, jetzt müssen die Menschen in Afghanistan die Folgen ausbaden.“
 
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