Innenminister Karner rücktrittsreif, Schadenersatzklage wird geprüft
(9. Juni 2022) Nun ist es auch höchstgerichtlich bestätigt: Im südsteirischen Sicheldorf führten Polizeibeamte in der Amtszeit von Innenminister Karl Nehammer einen illegalen Push-Back nach Slowenien durch. Schutzansuchen wurden ignoriert und Betroffene gezwungen, sich nackt auszuziehen und einzeln vor Beamten niederzuknien. Der Verwaltungsgerichtshof wies die Revision zurück und bestätigte die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts Steiermark, das zu dem Schluss kommt: Push-Backs finden in Österreich teils methodisch Anwendung. Zudem hat die Polizei das Recht auf Achtung der Menschenwürde des Betroffenen Ayoub N. verletzt.
Ins Rollen gebracht hatte das aufsehenerregende Verfahren eine Maßnahmenbeschwerde von Ayoub N. Dieser war am 28. September 2020 mit weiteren sechs Personen trotz seines Asylansuchens in der Südsteiermark innerhalb von nur achtundvierzig Stunden gewaltsam über Slowenien und Kroatien nach Bosnien zurückgeschoben worden. Drei der Betroffenen waren laut Angaben des Innenministeriums unbegleitete Minderjährige.
 
Karner rücktrittsreif – Missstände in der internen Kontrolle
Innenminister Karner hat Erklärungsbedarf: Er hat im Dezember 2021 dem Parlament gegenüber angegeben, dass es in Österreich keine illegalen Push-Backs gäbe. „Es stellt sich die Frage, ob der Innenminister das Parlament angelogen hat oder er schlicht keine Ahnung hat, was in seinem Einflussbereich passiert. In beiden Fällen ist er rücktrittsreif,“ fordert Lukas Gahleitner-Gertz, Sprecher der asylkoordination österreich, Konsequenzen ein. Bis dato wurden trotz der gravierenden Vorwürfe nicht einmal Disziplinarverfahren eingeleitet. „Bisher hat Karner bei Fragen zu internen Verfehlungen nur auf das anhängige Verfahren verwiesen. Das ist nun abgeschlossen: Wo bleiben die Konsequenzen?“ verweist Gahleitner-Gertz auf die mangelhafte Qualität ministeriumsinterner Prüfungen, denen zufolge „kein Fehlverhalten“ festgestellt wurde.
 
Sofortiger Stopp der Menschenrechtsverletzungen an der Grenze
Das Innenministerium scheiterte auch dabei, den systemischen Charakter der Push-Backs am Balkan zu leugnen. Durch die Aussagen der Beamten vor dem Landesverwaltungsgericht wurde erkennbar, dass seit 2020 hunderte Rückweisungen an der österreichischen Südgrenze zu Slowenien ident abgelaufen sind. Von der slowenischen Polizei wurden laut offizieller Statistik in den Jahren 2020 und 2021 insgesamt über 14.000 Personen an kroatische Beamte übergeben, darunter auch Ayoub N. Damit wird offensichtlich, dass der Push-Back-Skandal längst eine internationale Dimension hat.
Ungeachtet der gerichtlichen Entscheidungen werden nach Aufgriffen im Grenzgebiet weiterhin Rückweisungen von der österreichischen Polizei durchgeführt. „Als Sofortmaßnahme müssen alle Rückweisungen nach Slowenien ausgesetzt und die Polizeimaßnahmen extern evaluiert werden,“ fordert Klaudia Wieser von der Initiative Push-Back Alarm Austria vom Innenminister. „Laut Angaben der slowenischen Polizei wurden im laufenden Jahr wieder 27 Personen von Österreich übernommen worden, und damit beinahe doppelt so viele wie im Vergleichszeitraum des Vorjahres.“
 
Rechtswidriges Verhalten darf sich für Behörden nicht lohnen
„Es ist uns gelungen, den Nachweis für die Verletzung eines absolut geltenden Menschenrechts zu erbringen. Es ist aber unbefriedigend, dass mein Mandant trotz der festgestellten Rechtsverletzung nicht automatisch das Recht zur Wiedereinreise nach Österreich hat,“ so Rechtsanwalt Clemens Lahner, der Ayoub N. vertreten hat. Die Initiative Push-Back Alarm Austria und asylkoordination österreich fordern, dass diese Rechtslücke geschlossen wird: Wird ein Push-Back gerichtlich festgestellt, ist den Betroffenen automatisch die Wiedereinreise zu gestatten und ein pauschaler Schadenersatz für die erlittene Grundrechtsverletzung zu leisten. Rechtsanwalt Lahner wurde bereits mit der Prüfung von Amtshaftungsansprüchen beauftragt, die die Initiative Push-Back Alarm Austria mit einer Crowdfunding-Kampagne für Ayoub N. finanzieren möchte.
 
Entscheidung des Höchstgerichts Warnsignal an das Innenministerium
Ayoub N. hofft, dass die Entscheidung des Höchstgerichts dem rechtswidrigen Handeln der Behörden an der sogenannten Balkanroute ein Ende setzt. Ayoub N. ist derzeit obdachlos in Serbien: „Der Alptraum muss endlich aufhören. Mir wurden zwei Jahre meines Lebens gestohlen.“
Push-Back Alarm Austria und asylkoordination österreich fordern effektive Maßnahmen zur sofortigen Beendigung illegaler Push-Backs an der österreichischen Südgrenze:
  • Aussetzen aller Rückweisungen nach Slowenien nach Aufgriff im Grenzgebiet und externe Evaluierung der Rückweisungen in den vergangenen beiden Jahren in Hinblick auf Ketten-Push-Backs, Folter und unmenschliche Behandlung.
  • Menschenrechtskonforme Ausgestaltung der Behördenpraxis in den Grenzregionen: Verwendung eines verpflichtenden Fragenkataloges nach Aufgriffen, der explizit die Frage enthält, ob um Asyl angesucht wird. So wie die verpflichtende Beiziehung qualifizierter Dolmetscher*innen im Falle einer geplanten Rückweisung.
  • Bei gerichtlich festgestellter rechtswidriger Rückweisung Anspruch und amtswegige Erteilung eines Einreisevisums für Betroffene und pauschalen Schadenersatz für Betroffene in der Höhe von € 50.000,-
IMPRESSUM | COPYRIGHT BY ASYLKOORDINATION ÖSTERREICH
WEBDESIGN Christof Schlegel / PROGRAMMIERUNG a+o / FOTOS Mafalda Rakoš