Krise ja, aber im Management
(12. Nov. 2021) Bilder von gewalttätigen Push-Backs und Elendslagern an den EU-Außengrenzen beherrschen zurzeit die mediale Berichterstattung. In Österreich hingegen wird das „toxische Dreieck“ zwischen Bund, Ländern und Betreuungseinrichtungen zusehends zum Problem.
An den Zahlen kann es nicht liegen, wie Recherchen der asylkoordination zeigen: Mit Stichtag 3. November befanden sich gerade einmal 28.700 Menschen in staatlicher Grundversorgung – vor ca. zwei Jahren am 11. November 2019 wurden 31.500, somit fast 3.000 mehr versorgt.

„Das Problem liegt ganz offenbar in einer grundsätzlichen Fehlkonstruktion des Grundversorgungssystems“, erklärt Lukas Gahleitner-Gertz von der asylkoordination. Wenn es zu Schwankungen der Antragszahlen – zuletzt kam es zu Rückgängen während des ersten Jahres der Covid-19-Pandemie – müssen Landes-Quartiere geschlossen werden, weil sie nicht mehr kostendeckend betrieben werden können. Der Grund dafür ist das starre System von Tagsätzen, bei dem Betreuungsstellen pro Tag und Flüchtling eine bestimmte Summe erhalten. Gehen die Zahlen zurück, müssen nicht ausgelastete Quartiere sofort geschlossen werden, wollen die (privaten) Betreiber einen Konkurs vermeiden. NGOs versuchen oft noch (vergeblich) mit massiven Einsatz von Spendengeldern, die Quartiere aufrecht zu erhalten. Die Abgeltung, die eine Einrichtung pro Tag und Flüchtling bekommt, wurde seit 2016 nicht einmal an die Inflation angepasst. Den Ländern fehlen daher schlicht die Ressourcen zur adäquaten Unterbringung von Asylwerber*innen.

Die Folge: Der Bund, der in der Anfangsphase des Asylverfahrens für die Unterbringung der die Asylwerber*innen zuständig ist, hat in den vergangenen Monaten mehrere Quartiere (wieder)eröffnet – jetzt wird, wir erinnern uns mit Schaudern an 2015, sogar die Adaptierung von Lagerhallen erwogen. Absurd: Gleichzeitig stehen Häuser von Betreibern in der Landesgrundversorgung leer.
 
Traiskirchen und Co: Kindgerecht sieht anders aus
Besonders schlimm wirkt sich die derzeitige Managementkrise für Fluchtwaisen, Minderjährige, die ohne Eltern nach Österreich geflüchtet sind, aus. Zurzeit befinden sich 716 Kinder im berüchtigten Lager in Traiskirchen oder seinen Außenstellen. „Von einer Betreuung, die den Bedürfnissen von oft traumatisierten Kindern entspricht, kann in Traiskirchen keine Rede sein“, kritisiert Lisa Wolfsegger, Expertin für Kinderflüchtlinge bei der asylkoordination. Eine Lösung des für die Kinderflüchtlinge verheerenden Zustands wäre einfach und wird von vielen Expert*innen schon länger gefordert – zuletzt von der ständigen Konferenz der Kinder-und Jugendhilfereferent*innen in einer Presseaussendung vom 22. Oktober 2021.

„Es wäre schon einiges erreicht, wenn die Ressourcen, die für die Verwahrung der Jugendlichen in Traiskirchen aufgewendet werden, auch in den von den Ländern verantworteten Betreuungsstellen für Fluchtwaisen zur Verfügung stehen,“ spricht Wolfsegger den permanenten Mangel bei der Betreuung von Fluchtwaisen an. Tatsächlich hat Innenminister Karl Nehammer im Rahmen einer Parlamentsdebatte die Zahlen offengelegt. Demnach wendet der Bund für die Betreuung von Fluchtwaisen pro Kopf 40% mehr auf als in der Landesgrundversorgung, obwohl „in den Quartieren des BMI keine kindgerechte Betreuung, keine adäquaten Bildungs- oder Freizeitmaßnahmen, angeboten werden“, wie Lisa Wolfsegger betont.  „Die Kinder werden dort ohne Perspektive einfach verwahrt und verlieren so Zeit ihres jungen Lebens. Es ist fahrlässig als Gesellschaft die Potentiale, die diese Kinder haben und die auch uns schlussendlich zu Gute kommen, nicht zu fördern.“
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