Humanitäre Lage vor Ort katastrophal
Schutzsuchende Afghan:innen sind in Österreich mit Zermürbungsstrategie des Innenministeriums und mit Arbeitsverweigerung der Integrationsministerin konfrontiert.
 
Wien, 12. August 2022 - Die Bilder der Machtübernahme der radikal-islamischen Taliban in Afghanistan im August 2022 haben sich eingeprägt: Meldungen im Stundentakt über von den Taliban eingenommene Städte, Menschen in Panik auf der Flucht, verzweifelte Menschen am Flugfeld in Kabul. „Gleichzeitig haben Vertreter der österreichischen Bundesregierung in einem beispiellosen Akt der Realitätsverweigerung behauptet, an vollkommen unrealistischen Abschiebungen, die dann auch nicht stattgefunden haben, festhalten zu wollen, und geradezu triumphierend verkündet, sich nicht an Evakuierungsflügen für besonders Gefährdete beteiligen zu wollen,“ erinnert sich der Sprecher der asylkoordination österreich, Lukas Gahleitner-Gertz an das Geschehen vor einem Jahr.
 
Österreich mehr Durchzugsland als sicherer Hafen
Die fast 40 Mio. Einwohner:innen Afghanistans hatten auch vor der Machtübernahme der Taliban nicht in Frieden und Sicherheit gelebt. Im vergangenen Jahr ist allerdings die Zahl der an massiver Armut und Hunger leidenden Menschen angestiegen, Oppositionskräfte wurden zerschlagen, Andersdenkende verfolgt oder vertrieben, Frauen aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen und Mädchen der Zugang zu Bildung verwehrt.
Die Anzahl der Asylanträge afghanischer Staatsangehöriger in Österreich ist seit August 2021 auch wieder angestiegen. Auffallend ist jedoch, dass den seitdem registrierten ca. 13.500 Anträgen auch 10.000 eingestellte Verfahren im selben Zeitraum gegenüberstehen. „Ein Verfahren wird dann eingestellt, wenn Menschen in andere EU-Länder weiterziehen. Allein 2022 wurden ca. 60 Prozent aller Anträge von Afghan:innen eingestellt. Die populistische Pullfaktor-Erzählung österreichischer Politiker, dass viele aufgrund von Sozialleistungen nach Österreich kommen würden, ist endgültig als faktenwidrig entzaubert. Vielmehr fehlt vielen offenbar die Perspektive, hier ein neues Leben beginnen zu können,“ so Gahleitner-Gertz.
 
Innen- und Integrationsministerium haben Handlungsbedarf
Auch das Innenministerium ist gefordert, ist Gahleitner-Gertz überzeugt. Das BFA ist nach der Taliban-Machtübernahme 2021 von einer „gewissen Konsolidierung der Verhältnisse“ in Afghanistan ausgegangen. Es sei, so hieß es, „nicht abzusehen, ob sich die Pragmatiker oder Ideologen (unter den Taliban) durchsetzen werden.“ Angesichts der aktuellen Entwicklungen ist diese Behauptung bestenfalls bizarr und vollkommen lebensfremd, schlimmstenfalls menschenverachtend. Die Beobachtungszeit sei schließlich vorbei, die Entwicklung eindeutig, betont Gahleitner-Gertz: „Es ist klar, dass die Menschen aus Afghanistan Schutzbedarf haben. Die Behörde des Innenministeriums ist daher aufgefordert, die Fälle der afghanischen Staatsangehörigen rasch zu entscheiden, um das Asylsystem zu entlasten, eine Verteilung in andere EU-Länder durch die Hintertür zu verhindern und den Menschen eine Perspektive zu geben.“ Familienzusammenführungen seien prioritär zu behandeln, zumal auch die Angst um die Familie ein integrationsbehindernder Faktor ist.
 
Integrationsangebote sind gefordert
„Die Integrationsministerin wäre gut beraten, endlich spezifische Angebote für die afghanische Community auszuarbeiten, um eine rasche Integration zu ermöglichen,“ so die dringende Empfehlung des Sprechers der asylkoordination österreich an die Verantwortlichen in der österreichischen Bundesregierung am Jahrestag der Taliban-Machtübernahme.
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