Flüchtlings-NGOs fordern Evakuierung und humanitäres Aufnahmeprogramm
Wien - Große zivilgesellschaftliche Organisationen wie Amnesty International, asylkoordination österreich, Caritas, Diakonie, Samariterbund, SOS-Mitmensch, Volkshilfe und zahlreiche weitere mit jahrzehntelanger Erfahrung im Umgang mit akuten Fluchtbewegungen haben gemeinsam mit der Interessengemeinschaft der afghanischen Studierenden und Schüler IGASUS sowie mit der afghanischen Flüchtlingsorganisationen Neuer Start ein Forderungspapier an die österreichische Bundesregierung zur Rettung von bedrohten Menschen aus Afghanistan erarbeitet. Im Rahmen einer Pressekonferenz wurden heute die dringend nötigen Maßnahmen vorgestellt.
Lukas Gahleitner-Gertz von der asylkoordination österreich fasst einleitend zusammen: „Die Bilder und Nachrichten aus Afghanistan verstören. Sie lassen niemanden kalt, am wenigsten jene von uns, die Familie und Freund*innen in Afghanistan wissen. Es wird allen klar, wie wichtig es ist, für den Notfall Fluchtwege freizuhalten. Das fortwährende Festhalten an illusorischen und rechtswidrigen Abschreck-ungsszenarien wird nicht verhindern, dass Schutzsuchende Schutz suchen. Jetzt muss ein Minimum an Realitätssinn einkehren und konkrete Schritte zur Rettung jener Menschen ergriffen werden, deren Angehörige Teil unserer österreichischen Gesellschaft sind.“

Diakonie Direktorin Maria Katharina Moser betont in ihrem Statement: „Wer für europäische Werte einstehen will - für Gleichstellung von Frauen, persönliche Freiheit in der Lebensführung, den Wert Familie, Demokratie und die Menschenrechte - muss ja sagen zu einem humanitären Aufnahmeprogramm Afghanistan. Es geht um den Schutz für Menschen, die in Afghanistan europäische Werte gelebt und vertreten haben. Es geht insbesondere um Schutz und Sicherheit für afghanische Frauen: Frauen, die in der Öffentlichkeit gestanden sind, Frauenrechtsaktivistinnen, Frauen, die gegen Männergewalt aufgestanden sind, Journalistinnen, Richterinnen“.

Auch Klaus Schwertner, Gf. Caritasdirektor der Erzdiözese Wien appelliert an Europa und insbesondere an die österreichische Bundesregierung, ihre Verantwortung wahrzunehmen: „Das offizielle Österreich sagt heute: ‚Wir können nicht alle retten.‘ Das ist schon richtig. Doch im Umkehrschluss gar niemanden zu retten kann keine Alternative sein! Es muss jetzt um Beides gehen: Um wirksame Hilfe vor Ort und die Evakuierung von Menschen, die an Leib und Leben bedroht sind. Das ist kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Schon in der Vergangenheit ist es in Österreich unter der ehemaligen Innenministerin Mikl-Leitner gelungen, mit humanitären Aufnahmeprogrammen zu helfen und Menschenleben zu retten. An diese Tradition sollten wir auch jetzt anknüpfen. Unzählige Gemeinden, Bürgermeister*innen aller Couleurs und Pfarrgemeinden stehen bereit.“

Sima Mirzai von IGASUS (Interessengemeinschaft der afghanischen Studierenden und Schüler) fordert vor allem die Entbürokratisierung der Familienzusammenführung als ersten Schritt: „Wir wissen von Familienangehörigen, die seit zwei Jahren auf eine Familienzusammenführung warten. Hier gibt es sehr, sehr hohe bürokratische Hürden. Diese Hürden müssen jetzt aus dem Weg geräumt werden. Menschen, die in Österreich Schutz bekommen haben, muss jetzt geholfen werden, dass sie ihre Familienangehörigen, ihre Frauen und Kinder aus Afghanistan herausholen können.“

Und nicht zuletzt zeigt sich auch Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International über die aktuelle Diskussion der heimischen Politik bestürzt: „Nie in meinem Leben hätte ich gedacht, dass wir in Österreich einmal in der Position sein werden, die Europäische Menschenrechtskonvention verteidigen zu müssen. Statt ständig darüber nachzudenken, wie wir die Regelungen der EMRK umgehen können – Regelungen, die in Österreich den Grundrechtskatalog unserer Verfassung darstellen – um doch irgendwie nach Afghanistan abzuschieben, sollte unsere Regierung dringlichst planen, wie man die Menschen, die in Afghanistan in akuter Folter- und Lebensgefahr sind, in Sicherheit bringen kann.“ Patzelt weist „mit aller Bestimmtheit darauf hin, dass Menschenrechte für alle gelten. Wenn unsere Regierung nun anfängt, diese Rechte zu selektieren und einzelne Gruppen von Menschen – im konkreten Fall Afghan*innen – auszuschließen, müssen wir uns ernsthaft fragen, wem von uns als nächstes der Schutz der EMRK entzogen werden soll.“

Neben zahlreichen anderen Organisationen unterstützen auch Christian Konrad und Ferry Maier, die Initiatoren der Allianz „Menschen.Würde.Österreich“ das Forderungspapier. In einer Presseaussendung appellieren sie: „Familienzusammenführung, Beteiligung an internationalen Resettlement Programmen, Hilfe für Mädchen und Frauen – jeder Beitrag bedeutet nicht nur Rettung für Menschen, sondern auch für Grundwerte der Menschlichkeit, der internationalen Mitverantwortung.“

Auch Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich, bekräftigt: „Wenn ein Haus brennt, dann rettet man die Bewohner*innen und schaut nicht einfach zu. Leider „brennt“ Afghanistan wieder, und das darf uns nicht kalt lassen. Die Volkshilfe unterstützt die Forderungen an die österreichische Bundesregierung und fordert mit Nachdruck eine Haltungsänderung ein. Lassen Sie die Zivilgesellschaft helfen, wir sind bereit dazu.“
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